Samstag, 14. November 2020

Novelle des Infektionsschutzgesetzes am 18.11.2020


Bei der AfD und in diversen Verschwörungstheoretikerkanälen, Attila und Xavier lassen grüßen, wird derzeit sehr heiß das Thema Infektionsschutzgesetz diskutiert – dort wird die Novellierung gerne als „Ermächtigungsgesetz“ bezeichnet und bewusst eine Parallele zur Machtergreifung der Nationalsozialisten gezogen. Sagt mal, Leute, geht’s eigentlich noch?

Natürlich ist die Fragestellung durchaus berechtigt, ob unser Rechtsstaat und unsere Gesetzeslage eine Situation wie die derzeit Vorherrschende tatsächlich vorsieht, ob wir darauf vorbereitet waren. In meinen Augen ein klares "Nein", weder noch. Wenn Gerichte z.B. das Prostitutionsverbot im Angesicht der Pandemie aus formaljuristischen Gründen kippen können, dann ist das nur sehr oberflächlich betrachtet ein Gewinn für den Rechtsstaat. Tatsächlich bräuchten wir meiner Ansicht nach eine robustere Gesetzgebung für Krisenfälle, ohne gleich ins Extrem der Sicherstellungsgesetze abzugleiten. Eine Gesetzgebung, die ein Regierungshandeln per Verordnung robust und rechtssicher möglich macht, ohne dass ein Gericht das Verbot für den Betrieb von Fitnessstudios kippen kann, auch wenn ich auf rein persönlicher Ebene es sehr begrüßen würde, wieder trainieren zu dürfen. Hier geht es mir mehr um das Prinzip.

Ich habe im Moment den Eindruck, als befänden wir uns auf der Titanic, Eisberg voraus! Während der Großteil der Passagiere die präventiven Maßnahmen akzeptiert, Schwimmwesten anlegt und die Rettungsboote bemannt, gibt es dann noch diejenigen, die zuerst parlamentarisch über Maßnahmen abstimmen möchten - wohlwissend, dass der Kapitän und die Besatzung ohnehin die Mehrheit der Stimmen auf sich vereint. Aber Widerspruch ist nunmal die einzige Möglichkeit, sich entsprechend in Szene zu setzen und mediale Aufmerksamkeit zu erheischen. Je lauter und unsachlicher das Gepolter, desto mehr Aufmerksamkeit – man sieht das in mehr oder weniger großer Ausprägung bei allen Oppositionsparteien, auch bei meiner eigenen. Das wird durchaus auch parteiintern von vielen eher skeptisch betrachtet.

Und dann gibt es natürlich noch diejenigen, die die Existenz des Eisbergs anzweifeln. Und die, die der Ansicht sind, dass ohnehin nur die Alten und Schwachen sterben könnten. Nicht zu vergessen diejenigen, die Schwimmwesten für völlig überflüssig halten und ganz aktuell diejenigen, die sich mit dem Hinweis, dass ihnen niemand etwas vorzuschreiben habe, einfach gegen jede Maßnahme stellen und an Bord bleiben.

Offen gesagt: Auch wenn ich von mir behaupten kann, mich halbwegs vertiefend in der Materie auszukennen - ich habe keine Ahnung, ob die nun getroffenen Maßnahmen die richtigen sind. Sicher kann man trefflich darüber streiten, ob es Sinn macht, die Gastronomie, die bekanntlich statistisch kaum als Infektionsquelle in Erscheinung getreten ist, nun wieder zu schließen. Vielleicht würde es mehr Sinn machen, einfach nur die Bars und Clubs zu schließen, die tatsächlich maßgeblich an der Verbreitung vor allem in der Gruppe der bis zu 35jährigen beigetragen haben. Das gleiche gilt für Vereinssport und Fitnessstudios, letztere waren mit einer Quote von 0,78 Infektionen auf 100.000 Studiobesuche definitiv nicht in relevantem Ausmaß am Infektionsgeschehen beteiligt. Warum Musikvereine nicht mehr zusammenkommen dürfen, Gottesdienste aber stattfinden - das erschließt sich mir nicht. Macht das alles wirklich Sinn? Wie bereits gesagt: Ich weiß es tatsächlich nicht - und wenn wir mal ehrlich sind, dann weiß das auch keiner der 82 Millionen Bundestrainer bzw. Hobbyvirologen, Möchtegern-Politiker und Facebookaktivisten.

Ich komme aus dem Krisenmanagement – und ganz sicher ist das präventive Krisenmanagement der Bundesregierung massivst zu kritisieren. Man hatte monatelang Zeit, sich auf diese zweite Welle vorzubereiten. Man hatte monatelang Zeit, auch die entsprechende Gesetzesgrundlagen zu schaffen oder zumindest vorzubereiten - aber wie man im Frühjahr schon so treffend bemerkte: There's no glory in prevention.

Was allerdings bei aller berechtigten Kritik am präventiven Krisenmanagement anerkannt werden muss: Die Regierung handelt im operativen Krisenmanagement nach bestem Wissen und Gewissen, es gibt Gründe für diese Entscheidungen. Ganz sicher wurden diese Maßnahmen nicht aus dem hohlen Bauch heraus beschlossen sondern sind das Ergebnis verschiedener Expertisen von tatsächlichen Fachleuten. Keine Frage, es gibt auch immer wieder Fachleute, die komplett gegensätzlicher Ansicht sind, der Beef zwischen Drosten und Streeck ist ja geradezu legendär. Schlussendlich muss man aber die Fragen stellen: "Cui bono?" - Wem nutzt dieser Lockdown-Light? Wer profitiert wirtschaftlich davon? Diese Fragen können auch diejenigen, die am lautesten gegen die Maßnahmen aufschreien, nicht beantworten. Zumindest nicht jenseits von schwachsinnigen Verschwörungstheorien im Stile von QAnon und ähnlichem. Und da es tatsächlich keinen wirklichen Nutznießer gibt, so ist mein Schluss, dass die Maßnahmen eben tatsächlich nur aus einem Grund entschieden wurden - weil die Verantwortlichen der Ansicht sind, dass diese den besten Weg mit dem geringsten Schaden darstellen.

Was ich darüber hinaus weiß: Den bislang halbwegs glimpflichen Verlauf in Deutschland im direkten Vergleich zu unseren europäischen Nachbarländern mit vergleichbarem Sozial- und Gesundheitswesen verdanken wir den im Frühjahr getroffenen Maßnahmen. Ironischerweise also genau den Maßnahmen, gegen die wegen angeblicher Unverhältnismäßigkeit eine kleine aber laute Minderheit auf die Straße geht - siehe den obigen Vergleich zur Titanic. Dass es einfach nur schäbig und billig ist, bei allen eventuellen Versäumnissen und Fehlern die jetzige Situation alleinig auf die Politik zu schieben anstatt auf die Menschen, die durch ihr unverantwortliches Verhalten uns sehenden Auges mit Ansage dahin gebracht haben, wo wir heute sind, führe ich nicht weiter aus, da sonst Tourette ausbricht und ich anfange, die Covidioten aufs übelste zu beschimpfen. Auch hier sehe ich die Gerichtsentscheidungen, die diese Demonstrationen genehmigen, nur in sehr oberflächlicher Betrachtung als einen Sieg des Rechtsstaates. Selbstverständlich müssen sich Richter an das geltende Recht halten und können in ihrer Entscheidung nicht die objektiven richtigen Maßnahmen stützen, wenn sie faktisch gegen geltendes Recht verstoßen. Daher ist, wie eingangs bereits ausgeführt, eine deutlich robustere Gesetzgebung notwendig.

Mein persönliches Fazit: Ich mag nicht mit allen Maßnahmen einverstanden sein - aber wenn man aus dem Krisenmanagement eine Tatsache kennt, dann doch die, dass man Ziele erreicht, indem man an einem Strang zieht. Und zwar in die selbe Richtung. Streiten kann man gerne hinterher, während einer Krise muss einfach eine/r das Sagen haben. Demokratische Prozesse gelangen in Krisen an ihre Grenzen.

Eines ist sicher: Auch die Gegner der Maßnahmen wissen nicht, was der richtige Weg ist. Was der richtige Weg gewesen wäre, wird uns dann irgendwann die Geschichte zeigen. Vielleicht.

#wearthatfuckingmask #staythefuckhome #keepdistance #staysafe #stayhealthy

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/118341/Infektionsschutzgesetz-soll-schnell-verabschiedet-werden

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