Mittwoch, 9. Dezember 2020

Digitalisierung im Bevölkerungsschutz


Ich nahm heute am Symposium für Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) des beta-Verlags (u.a. Fachmagazin Crisis Prevention, Wehrmedizin&Wehrpharmazie) teil - coronabedingt ein rein virtuelles Seminar, allerdings mit hochkarätigen Rednern aus Bundeswehr (u.a. Generalarzt Dr. Bruno Most, Oberstarzt PD Dr. Kai Kehe, Generalstabsarzt Dr. Hans-Ulrich Holtherm), DRK (Generalsekretär Christian Reuter, Dr. Johannes Richert, Frank Joerres) und einigen weiteren Rednern aus den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.

Den Nagel auf den Kopf traf Giulio Gullotta, Abteilungsleiter Wissenschaft und Technik im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit dieser Fragestellung: "Zivilschutz 1.0" vs "Bedrohung 2020 ff.“ - Passt das Werkzeug zum Problem? Er spannte den Bogen über die heutigen asymmetrischen Bedrohungslagen bis hin zu Pandemien und Co. und stellte resümierend fest, dass wir durchaus noch Aufholbedarf in Organisation und Struktur haben.

Genau diese Fragestellung ist meiner Wahrnehmung nach auch in meiner Branche im Kontext polizeiliche/nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz, Brandschutz usw. nach wie vor präsent: Warum versuchen wir immer noch, den heutigen Herausforderungen einer schnelllebigen und globalisierten Welt mit Techniken und Führungsmitteln des kalten Krieges zu begegnen? Nach wir vor höre ich oft von altgedienten Führungskräften: "Papier und Kugelschreiber ist ausfallsicher, funktioniert immer!“ Das ist zweifellos richtig - dennoch schreibe ich heute meine Briefe am PC und nur im Ausnahmefall von Hand. Die Digitalisierung im Bevölkerungsschutz, der "Katastrophenschutz 4.0" scheitert vielerorts weniger an den technischen Möglichkeiten, wobei ich natürlich nicht verhehlen will, dass die Regierung hier in der Pflicht ist, uns ins Gigabit-Zeitalter zu führen. Vielmehr scheitert es oft am Widerstand von im Rahmen der kommunalen Selbstverantwortung vor Ort verantwortlichen Traditionswächter: „Hammer schon immer so gemacht, machmer auch weiter so!“ 

Sicher muss man über die Ausfallsicherheit von Kugelschreiber und Papier nicht diskutieren - wohl aber über die Ausfallwahrscheinlichkeit einer vernünftig gepflegten, resilienten Software und modernen IT-Infrastruktur und deren Redundanzen. Sicher macht es als Grundlage Sinn, den „Vierfachvordruck“, die handgezeichneten Lageskizzen und Schadenkonten im Rahmen der Führungskräfteausbildung für die Stabsarbeit zu erlernen. Buchhaltung erlernt man schließlich auch auf T-Konten-Blättern und arbeitet danach mit einer Buchungssoftware. Spätestens nach der Ausbildung sollte das Prinzip „Pen&Paper“ aber nur noch als Rückfallebene verstanden werden. Die Informationsbeschaffung für alle Mitglieder einer Einsatzleitung/eines Krisenstabes, die Visualisierung komplexer Szenarien in Verbindung mit Geoinformationssystemen ist mit elektronischer Führungsunterstützung deutlich einfacher oder tatsächlich nur durch diese möglich. Der Führungsvorgang ist heute schneller als es in rein „analogen“ Stäben früher möglich war. Man kommt mit modernen Führungsmitteln schneller von der Chaos-Phase vor die Lage und kann sehr viel schneller agieren anstatt lediglich zu reagieren, sehr viel schneller erhält man die Initiative zurück - und rettet damit gegebenenfalls Leben.

Meine Zeit im Stab des Innenministeriums Baden-Württemberg während der Flüchtlingskrise 2015 hat mich eine Sache gelehrt: Es ist ohne eine vernünftige Stabssoftware mit einer entsprechend revisions- und gerichtssicheren Dokumentation nahezu unmöglich, ein Jahr oder länger danach nachzuvollziehen, aus welchem Grund wann welcher Befehl gegeben wurde, welche Informationen zu diesem Zeitpunkt vorgelegen haben, die Grundlage dieser Entscheidung waren, welche Ressourcen vorhanden waren und wer mit wem wann über welchen Kanal kommuniziert hat. Daraus folgt: Die Digitalisierung im Bevölkerungsschutz schützt im Zweifelsfall den Einsatzleiter bzw. die Mitglieder des Stabes.

Insofern möchte ich die Fragestellung von Herrn Gullotta gerne beantworten: Wir sind auf dem richtigen Weg, die passenden Werkzeuge einzuführen. In die Entscheiderebene wächst allmählich die Generation hinein, die mit digitaler Kommunikation aufgewachsen ist und naturgemäß mit deutlich weniger Vorbehalten die Chancen und Vorteile erkennen.

#TeamDigitalisierung


2 Kommentare:

  1. was ist denn eine assymetrische Bedrohungslage?

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  2. Normalerweise versteht unter asymmetrischen Bedrohungslagen, Lagen /Situationen, wo die beiden beteiligten Parteien stark unterschiedliche Ausgangslagen innehaben. Vergleichbar bei der Definition für einen asymmetrischen Krieg, wo sich Parteien gegenüberstehen, die waffentechnisch, organisatorisch und strategisch stark unterschiedlich ausgerichtet sind.

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