Sonntag, 20. Juli 2014

Soziales Kapital und Ehrenamt

"Unter soziales Kapital fassen wir verschiedene Arten sozialer Beziehungen aus Familie, Freundschaften, aber auch die Unterstützungsressourcen, die mobilisiert werden können über diese Beziehungen. Wir fassen darunter aber auch Engagement in Vereinen als ehrenamtliches Engagement."
(...) Zum Beispiel findet sich bürgerschaftliches Engagement eher in den höheren Schichten, auch wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, dass ehrenamtliche oder politische Aktivitäten gerade bei Jobverlust neue soziale Anerkennung verschaffen könnten. Janina Zeh über ihr Forschungsprojekt "Engagement in prekären Erwerbsverläufen":
"Das ist die These, die wir verfolgen, dass diejenigen, die dazu angehalten werden, sich ehrenamtlich zu engagieren, die sind die, die das mit einer viel geringeren Wahrscheinlichkeit da reinkommen, weil Ehrenamt auch ungleich verteilt ist."

Liegt hier Ursache und Lösung des Problems der rückläufigen Zahlen engagementwilliger Mitbürger/innen? Solange Vereine, Verbände, Parteien usw. dogmatisch das Wort "Ehrenamtlichkeit", das es in diesem Wortsinn nur im Deutschen gibt (vgl. "volunteering" im englischen Sprachraum), wie ein Schutzschild vor sich hertragen und in Anlehnung an das heutzutage beinahe altertümlich anmutende Wertemodell von ehrenamtlicher Tätigkeit als freiwillige und gänzlich unentgeltliche Tätigkeit sehen und Engagierte allenfalls durch (pauschalen) Auslagenersatz entschädigt werden, werden der obigen These folgend zumindest nur wenige Mitbürger in prekären Erwerbsverhältnissen Zugang zur Ehrenamtlichkeit finden. 

Alles, was vielleicht getan werden könnte, um Abhilfe zu schaffen, um das angestaubte Image von klassischem ehrenamtlichen Engagement aufzupolieren, scheint auf den Widerstand örtlicher Traditionswächter zu stoßen, die sich einbilden, sie würden alle Antworten kennen. Schließlich arbeiten sie ja auch ehrenamtlich. Aus purer Nächstenliebe. 

Dem wage ich zu widersprechen, es gibt keinen reinen Altruismus. Ein jeder zieht etwas für sich selbst aus der Tätigkeit - und wenn es nur das gute Gefühl ist, etwas gutes zu tun, die Tätigkeit Spaß und Freude bringt. Oder aber - und das dürfte wohl vielfach der Hauptgrund sein - die Vergrößerung des eigenen sozialen Netzwerks und bei manch einem die Steigerung des Sozialprestiges. 

Die meisten Motivationsfaktoren, die zu ehrenamtlicher Betätigung führen, sind meiner Ansicht nach völlig legitim. Warum also nicht auch endlich der Tabubruch? Warum nicht endlich auch über die Monetarisierung der Tätigkeit jenseits der "Übungsleiterfreipauschale" diskutieren?

Die Zeit für ein Umdenken ist reif. 

Mittwoch, 9. Juli 2014

Rezension: Frank Schätzing - Breaking News

Unter dem Eindruck der in den letzten Tagen zunehmenden Angriffe gegen Israel von Seiten Palästinas und der israelischen Vergeltung und gezielten Ausschaltung von Hamas-Terroristen habe ich "Breaking News" geradezu verschlungen. Das Buch trifft den Zeitgeist und ist aktueller denn je.



Handlung

Zunächst ist man überrascht, dass das erste Kapitel nicht in Israel sondern im Afghanistan des Jahres 2008 beginnt. Der Leser schaut dem Top-Kriegsberichtserstatter eines Hamburger Nachrichtenmagazins Tom Hagen über die Schulter, schmunzelt über seinen unverfrorenen Umgang mit den Militärs der ISAF-Truppen, fiebert mit dem Protagonisten mit, als dieser in heroischer Thriller-Manier versucht, eine Entführung aufzuklären und zu einem glücklichen Abschluss zu bringen und wird mit Tempo 180 gegen die Wand gefahren, als die gesamte Szenerie plötzlich völlig aus den Fugen gerät und die Welt von Hagen völlig zusammenbricht. Wer nun aber einen soliden Thriller erwartet, der irrt.

Schätzing irritiert seine Leserschaft durch eine Rückblende ins Jahr 1929. An Zeitsprünge muss sich der Leser gewöhnen, etabliert der Autor hier doch einen zweiten Handlungsstrang. Wir lernen die Gebrüder Yehuda und Benjamin Kahn kennen - beide eben erst im späteren Israel eingewandert. Sie finden im Land alteingesessene Araber vor, die Angst haben, von der zunehmenden Einwanderungswelle von Juden aus aller Welt vertrieben zu werden, eine heillos überforderte und gleichzeitig gleichgültige britische Kolonialverwaltung und beständig wird der Leser mit Gewalt und Terrorismus konfrontiert. Dieser zweite Strang in Schätzings Roman ist eine Art jüdische Familiensaga, die sich bis in die Gegenwart des Buches im Jahr 2011 fortsetzen wird. Yehuda und Benjamin - beides fiktive Figuren - finden in einem gewissen Arik Scheiermann einen Spielkameraden und Freund, der später als Ariel Scharon bekannt werden und über lange Zeit die Geschicke Israels maßgeblich prägen wird.

Während Tom Hagen in der Handlungsebene der Gegenwart völlig abstürzt, ein posttraumatisches Belastungssyndrom ebenso wie Alkoholismus überwinden muss und nur noch als drittklassisger Journalist für ein kleines Onlinejournal schreibt - mit eher mäßigem Erfolg - führt Schätzing den Leser in der zweiten Ebene mit großen Zeitsprüngen durch die Geschichte Israels. Von der Balfour-Deklaration geht es im Schweinsgalopp zur Staatsgründung Israels, den 6-Tage-Krieg bis hin in die Gegenwart. Arik Scharons Karriere im Militär - vielmehr sein militärisches Genie wird sehr raumnehmend ausgearbeitet, flankiert durch die Erzählung der Familiengeschichte der Kahns. Von hoffnungsvollen Siedlern, die immer wieder Rückschläge hinnehmen müssen und vom Leben im ständigen Konflikt. 

Der Autor schafft es, für beide Seiten - die arabische Welt und Israel - Verständnis zu wecken. Freundschaftliche Bande zwischen Juden und Palästinensern gehören ebenso zum Alltag wie die ständige politische Auseinandersetzung zwischen Fundamentalisten, linken und rechten politischen Lagern und dem Durchschnittsbürger irgendwo dazwischen, der eigentlich nur das beste für sich und seine Familie erreichen und in Frieden leben will. 

Schätzing begibt sich auf hochbrisantes Terrain, in dem er sich ausgerechnet eine der umstrittensten Figuren der israelischen Geschichte ausgesucht hat. Ariel Scharon, bisweilen unmenschlich brutal, loyal zu seinen Idealen bis zur Selbstaufgabe, dargestellt als disziplinierter Soldat, als militärischer Stratege, als Schlächter von Zivilisten, aber auch Wegbereiter eines möglichen Friedens durch Aufgabe der Siedlungsgebiete und in zunehmendem Alter von einer einsichtigen Weisheit geprägt, die so gar nicht zu seinem Lebenslauf passen will. In all diese historischen Gegebenheiten sind die Nachkommen der Familie Kahn mit ihren persönlichen Schicksalen verstrickt. 

Tom Hagen stolpert währenddessen unversehens in eine Verschwörung mit Potenzial, einen dritten Weltkrieg auszulösen. Er ist beständig auf der Flucht, er wird gejagt, man trachtet ihm nach dem Leben, um an brisantes Material zu kommen, das ihm zugespielt wurde und lange Zeit ist unklar, wer die wirklich "Bösen" in dieser Geschichte sind.

Fazit

Schätzings Roman ist eine Mischung aus Familien-Epos, Polit-Thriller und Geschichtsdokumentation. Nicht immer gelingt es dem Autor, eine gesunde Balance zwischen den Elementen zu finden. Er überfordert den Leser regelmäßig mit wilden Sprüngen zwischen den Handlungsebenen, die zu guter letzt natürlich zusammenführen.  Dieses knapp 1000 Seiten umfassende Buch ist keine "leichte Kost" für nebenher, man muss hochkonzentriert dem Plot folgen. Bei seinen Ausflügen in die Geschichte ist er zunächst um Ausgleich, geradezu um "political correctness" bemüht, die Charaktere werden teilweise sehr überzeichnet dargestellt und so manch Dialog zwischen den Figuren erinnert einen dann doch eher an einen Monolog eines Professors im Hörsaal für die Geschichte des nahen und mittleren Ostens. Die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verschwimmen und sind für den Leser nicht klar erkennbar. Insgesamt aber schafft er es durchaus, eine Erklärung für die heutige politische Großwetterlage zu finden, die meiner Meinung nach der Realität entspricht. Der Autor macht im Verlauf des Buches aus seiner pro-israelischen Einstellung keinen Hehl mehr, geht allerdings mit religiösen Hardlinern auf allen Seiten hart ins Gericht. Sowohl die fundamentalistischen Kräfte im Islam als auch im Judentum werden abgeurteilt, ebenso die Christen, die 1982 das Massaker in den Beiruter Flüchtlingslagern zu verantworten haben. Diese Greueltat wird sehr plastisch beschrieben und dem Leser bleibt nur ein schaler Geschmack im Mund und der Zustand absoluter Fassungslosigkeit übrig.

Schätzing bewältigt aber dennoch den Spagat, die absolute Sinnlosigkeit der Gewaltspirale auf der einen und der ebenso absoluten Alternativlosigkeit auf der anderen Seite darzustellen, den anklagenden Finger zwar mehr auf die Seite der Palästinenser richtend, aber auch durchaus kritisch mit der Verteidigungspolitik Israels. Schmerzlich vermisse ich allerdings neben der Charakterstudie Ariel Scharons eine Entsprechung auf der Gegenseite. Die historische Rolle Jassir Arafats hätte in diesem Gesamtzusammenhang eine nähere Betrachtung verdient, auch wenn der Autor dennoch versucht, die Legitimität der arabischen Sache darzustellen.

Für die Thrillerelemente sorgt die Handlungsebene um Tom Hagen. Hier wird nach Herzenslust verfolgt, geschossen, gejagt, gefoltert, gemordet, geflohen, gestohlen, betrogen und gelogen. Um die Spannung nicht vor der Lektüre des Buches zu nehmen, gehe ich an dieser Stelle auf den Handlungsstrang und die den Roman bestimmende fiktive Verschwörung nicht weiter ein. Nur so viel: Es geht rasant zu. So rasant, dass die Figur Tom Hagens oftmals etwas an Glaubwürdigkeit verliert. Es fällt dem Leser oftmals schwer, sich mit ihm völlig zu identifizieren. Dennoch rundet dieser Strang das Gesamtwerk Schätzings gut ab.

Breaking-News ist, wie bereits erwähnt, nichts für Leser, die leichte Kost bevorzugen. Man muss eine Affinität zu Geschichte und Politik haben, man muss bereit sein, die eigenen Wertevorstellungen zu hinterfragen - reine Thriller- und Krimileser kommen hier nicht auf ihre Kosten. Dennoch bekommt das Buch von mir klare vier von fünf Eselsohren.