Mittwoch, 13. Juli 2016

Mitgliederschwund in den Parteien




Die Parteien verlieren Mitglieder. Das behauptete die ARD heute und sie wird damit mit Sicherheit Recht haben.

Ich arbeite bekanntlich bei einem Landesverband der etwas größeren Vereine in Deutschland. Auch hier ist ein Rückgang sowohl der klassischen ehrenamtlichen Mitglieder als auch der fördernden Mitglieder zu verzeichnen, die für die Arbeit einer Hilfsorganisation ebenso unverzichtbar sind wie Beitrag zahlende Mitglieder in Parteien. Insbesondere bei den fördernden Mitgliedern zeichnet sich eine Überalterung in der Mitgliedsstruktur ab. Es muss also gar nicht zwingend der Fall sein, dass der Mitgliederschwund auf Austritten basiert, vielmehr sterben insbesondere in den Parteien mehr Mitglieder als dass neue eintreten. Die Ergebnisse der Freiwilligen-Surveys der Bundesregierung der letzten Jahre, in denen auf sozialwissenschaftlicher Basis das freiwillige Engagement der Bundesbürger beleuchtet wird, befassen sich auch unter anderem mit der politischen Partizpiation. Auch die übrigen Ergebnisse des klassischen Ehrenamts lassen sich problemlos auf Parteien übertragen, schlussendlich geht es bei den meisten Parteimitgliedern doch um ehrenamtliches, unentgeltliches bürgerschaftliches Engagement, nur die Wenigsten streben eine politische Laufbahn zum Broterwerb an. (Download Freiwilligensurvey 2014 BMFSJ)

Ein Beispiel aus dem Katastrophenschutz: Die klassischen Hilfsorganisationen und Feuerwehren haben durchaus mit ähnlichen Problemen zu kämpfen und versuchen seit Jahren durch gezielte Marketingmaßnahmen, Kampagnen und weiteren "Charme-Offensiven", neue Ehrenamtliche zu gewinnen. Interessanterweise steht und fällt das oftmals aber mit dem Engagement vor Ort. Da können sich Bundes- und Landesverbände noch so tolle und innovative Projekte einfallen lassen - das ist meiner Ansicht nach eher Kosmetik und dient allem voran dem Aufpolieren des Images in der öffentlichen Wahrnehmung. Natürlich sinkt die Chance auf die Gewinnung neuer Ehrenamtlicher, wenn die entsprechende Organisation ein negatives oder zumindest angestaubtes Image hat.

Es gibt hierbei durchaus immer wieder beachtenswerte Initiativen und Ideen. Wenn diese Konzepte aber von den üblichen Traditions- und Tugendwächtern vor Ort (Das haben wir schon immer so gemacht, das machen wir auch weiterhin so...) nicht umgesetzt werden, bringt das nicht allzu viel. Noch immer gibt es viel zu viele Mitglieder in verantwortlicher Position, die ihr eigenes Tun und Wirken als Maßstab definieren, der an Neumitglieder anzulegen ist. Sie verkennen hierbei völlig den gesamtgesellschaftlichen Wandel. In Parteien hört man in diesem Zusammenhang dann oft: "Man hat schließlich in einer Partei die Möglichkeit, die politische Landschaft zu gestalten." So auf rein philosophischer Betrachtungsweise mag das ja stimmen - aber ganz offensichtlich lockt man mit dieser doch sehr abstrakten Beschreibung politischer Aktivitäten nur noch sehr wenige Idealisten hinterm Ofen hervor. Anders die AfD, die hat(te) als einzige Partei bundesweit Zulauf. Die Ursachen hierfür zu betrachten, würde den Rahmen dieses Blogs sprengen, aber man kann sicher behaupten, dass insbesondere politikverdrossene, enttäuschte Menschen sich von den vermeintlich einfachen Antworten auf komplexe Problemstellungen anlocken ließen und ein nicht zu verachtender Prozentsatz aus Protest dieser Partei die Stimme gab bzw. dort Mitglied wurde. Wie sich die AfD weiterentwickelt, wird die Zukunft zeigen. Ich vermute allerdings, dass sie nach den anfänglichen Erfolgen mittelfristig dem vorgezeichneten Weg der Republikaner folgen wird.

Zurück zum Thema: Wir beobachten aber auch immer wieder einzelne Leuchtturmprojekte in den Gliederungen, in denen innovative Mitgliedergewinnung vor Ort betrieben wird. In der Regel steht und fällt das mit Einzelpersonen, d.h. man braucht vor Ort motivierte und motivierende Zugpferde. Selbstverständlich gibt es Einheiten, die einen großen Mitgliederzulauf haben. Der Ruf nach der nächsthöheren Organisationsebene ist hingegen die durchaus verbreitetere Herangehensweise. Umso erfreulicher sind diese Best-Practice-Beispiele.
Dennoch: Der Trend ist absehbar, klassisches ehrenamtliches Engagement, wie man es vor 20, 30 Jahren noch kannte, wird es in diesem Ausmaß nicht länger geben. Zu vielfältig ist die Konkurrenz der Freizeitangebote, zu groß der Druck durch Ausbildung, Studium, Beruf und schlussendlich muss bei den meisten früher oder später auch die Familienplanung mit dem anderweitigen Engagement in Einklang gebracht werden.

Man kann nun also weiterhin über den angeblichen Werte- und Sittenverfall der Gesellschaft lamentieren - oder aber den Zeichen der Zeit folgen und das Angebot ändern. Es ist nämlich gar nicht so sehr das prinzipielle Interesse an ehrenamtlichem Engagement, das gesunken ist - es geht bei den meisten um die institutionalisierte Form der Mitwirkung. Viele wollen sich nicht mehr fest einbinden und -planen lassen. Sie möchten entweder projekt- oder periodenspezifisch mitwirken. Wir sprechen im Katastrophen-/Bevölkerungsschutz von sog. "ungebundenen Helfern", neudeutsch "walk in volunteers". Zu Beobachten war diese Art des bürgerschaftlichen Engagements beispielsweise bei den Hochwasserkatastrophen in den neuen Bundesländern. Was Landesbehörden und Hilfsorganisationen nicht geschafft haben, haben private Interessensgemeinschaften mit Hilfe von Social-Media innerhalb weniger Stunden geschafft: Die hilfsbereiten, ungebundenen Helfer zu informieren, zu kanalisieren und (mehr oder weniger) sinnvoll einzusetzen. Dass hierbei ein Wildwuchs entsteht und oftmals nur der Gedanke und nicht immer die Umsetzung lobenswert war, liegt in der Natur der Sache und ist nicht den ungebundenen Helfern anzulasten. Es liegt nun an den Hilfsorganisationen, Feuerwehren usw., dieses Helferpotenzial „einzufangen“ und neue Formen der Mitwirkung zu finden. Das Österreichische Rote Kreuz hat es mit dem „Team Österreich“ vorgemacht, in Deutschland haben es das „Team Bayern“, das „Team MeckPom“ und andere erfolgreich nachgemacht.

Die Frage ist, was Parteien aus diesen Erfahrungen der großen Verbände lernen können, wo die Problemfelder doch recht ähnlich gelagert sind. Laut Freiwilligensurvey hat sich über die Hälfte der Bevölkerung ab 14 Jahren bereits politisch engagiert, sei es durch Bürgerinitiativen, Unterschriftensammlungen, Demonstrationen oder Übernahme von politischen Ämtern. Nur ganz offensichtlich gelingt es den Parteien nicht, dieses sehr große Potenzial an sich zu binden. Finden Parteien Mitwirkungsformen jenseits der klassischen (u.U. teuren) Mitgliedschaft? Kann Partizipation ohne Beiträge ermöglicht werden? Können Parteien den Aufträgen gemäß Grund- und Parteiengesetz auch auf andere Art und Weise nachkommen? Inwieweit werden vor allem auch vor Ort in den Gliederungen Soziale Medien als Kommunikationsplattformen genutzt? Können Parteien weitere "Incentives", also Anreize bieten? Man nehme einen Automobilclub als Beispiel. Dort ist man nicht Mitglied, weil man unbedingt einem Club beitreten wollte, dort ist der Hauptmotivator, dass man im Pannenfall kostenfrei abgeschleppt wird. Natürlich können Parteien nun keine Autos abschleppen, aber ich denke, hier können einige neue Wege beschritten und zumindest ausprobiert werden. Fakt ist: Weitermachen wie bisher ist offensichtlich keine Lösung.

Parallel dazu ist natürlich auch die Frage zu stellen, inwieweit der Gesetzgeber ehrenamtliches Handeln (nicht nur in Parteien) fördern kann. Auch wenn ich als Liberaler grundsätzlich kein Freund von Subventionen bin, so darf man dann doch die Frage stellen, ob jemand, der im Jahr 300 Stunden ehrenamtliche, gemeinnützige Arbeit leistet, Vergünstigungen erhalten kann. Bei jungen Ehrenamtlichen könnten das Anrechnungen auf Wartesemester sein, bei älteren eine Steuerentlastung oder bei entsprechendem Nachweis einen Rentenpunkt mehr usw. Möglichkeiten gäbe es viele, über die man diskutieren kann - sofern ein Wille da ist, Althergebrachtes loszulassen.