Montag, 1. November 2010

Ratschläge

Mütter, Väter, Leidensgenossen aller Länder, vereinigt euch! Denn wer kennt sie nicht, die vermeintlich gut gemeinten, vor allem aber immer ungefragten Ratschläge von Eltern, Tanten, Onkeln, Freunden und wildfremden Personen?



"Hat der Kleine keine Mütze?" oder "Meinst nicht, dass es ein wenig kalt ist?" Alternativ hierzu die Steigerung, direkte Ansprache des wenige Monate alten Säuglings: "Du kleiner Fratz, hast Dir die Mama/der Papa denn keine Mütze aufgesetzt?" Man muss nicht mehrere Semester Kommunikationswissenschaft studiert haben, um die mehr oder weniger schlecht versteckten Vorwürfe herauszuhören, denn was will uns unser Gegenüber denn tatsächlich mitteilen? Langenscheidts "Besserwisser - Deutsch, Deutsch - Besserwisser" übersetzt das so: "Du Nichtsnutz von Mutter/Vater lässt Dein Kind erfrieren!"



Was entgegnet man in dem Wissen, dass man a) gerade aus dem warmen Auto kommt und die Mütze noch nicht aufgesetzt hat, b) der Kleine die Mütze eben selbst vom Kopf gezogen hat oder c) es 25 Grad im Schatten hat (alles erlebt!)? Jeglicher Versuch der Verteidigung käme einem Schuldeingeständnis gleich. Ein "kümmer Dich um Deinen eigenen Kram" wäre zweifelsohne ehrlich, aber unhöflich. Ich rate zur Schocktherapie: "Oh heilige Mutter Maria und Josef! Schnell, das Kind erfriert! Ruft einen Notarzt! Und die KSK und die GSG9, die uns unwürdige, verantwortungslose Eltern verhaften und im tiefsten Kufnukistan aussetzen, auf dass wir gesteinigt werden!" Ehrenwort, das hilft!



Gestern war ein Paradetag für gute Ratschläge. Junior passte in die Babyschale noch ungefähr so gut wie ich in einen Sitz einer German-Wings-Maschine. Kurzerhand wurde der Autositz in den Pampers-Boliden gebaut und es ging in den Wildpark nach Pforzheim. Junior findet das klasse, sieht er doch was von der Außenwelt. Mit freudigem Jauchzen macht er seiner Zufriedenheit Luft und döst kurze Zeit darauf seelig schlummernd ein. Im Wildpark die nächste Premiere. In Ermangelung der Babyschale, die sonst auf den Kinderwagen aufgeflanscht wurde (Achtung! Ratschlagalarm! "Das ist aber nicht gut für den Rücken, wenn er ständig..." Eine Ammenmär, wie uns der Kinderarzt versicherte), kam zum ersten Mal der Buggyaufsatz zum Einsatz. Zugegebenermaßen ist der Buggyaufsatz noch etwas groß, aber allemal bequemer als die Babyschale.



Im Park den Junior auf die Schultern gesetzt. Ich höre leise murmelnd ein : "... dafür ist er doch noch viel zu klein..." und nehme die panisch weit aufgerissenen Augen einer Verwandten kommentarlos zur Kenntnis. Als ich Junior in bewährter Manier - vielleicht auch etwas provokant - an den Hüften fasse, ihn elegant kopfüber nach vorne absetze, ihm lautstark einen Schmatzer auf den Bauch gebe und ihn nicht minder elegant mit einem halben geschraubten Salto vor meiner Brust auf dem Arm halte und er das mit einem lauten fröhlichen Glucksen und lachen quittiert, ihr ein "Oh Gott, ich dachte, Du lässt ihn fallen" entfährt, kam ich nicht umhin, folgendes trocken festzustellen: "Der Kleine hat mich bis jetzt überlebt. Er wird's auch weiterhin tun."



Nächste Etappe: Restaurant. Junior sitzt, übrigens auch zum ersten mal, im Hochstuhl. Missbilligende Blicke vom Nachbartisch, als er vergnüglich auf einer Gurkenscheibe herumkaut und ihm das eine oder andere Bröckchen aus dem Mund fällt. Einen Augenblick unaufmerksam, schon tönt es von einem Super-Nanny-Verschnitt: "Du, der Tisch ist doch pfui-bäh! Kriegst daheim nichts zu essen?" Junior meinte, er müsste die Konsistenz und den Geschmack der Tischplatte testen. Das trockene: "Der arme Bub sieht auch völlig verhungert aus und ich hab gehört, Dreck macht Speck" meinerseits brachte die Dame kurzzeitig zum Schweigen.



Zu Hause noch kurz ein Bild vom Kleinen, stolz in seinem neuen Autositz thronend, in Facebook eingestellt. Prompt bekam ich gut gemeinte, nicht böse gemeinte und auf gar keinen Fall besserwisserische (übrigens ungefragte) Ratschläge, wie gefährlich das sei...








Eine letzte Anmerkung: Liebe Leute, wir wissen, dass ihr alle das wirklich gut meint. Nehmt mir also die vorstehenden Zeilen nicht übel, versteht aber vielleicht, dass auch wir ansatzweise über etwas ähnliches wie einen gesunden Menschenverstand verfügen und uns das allmählich ein ganz klein wenig nervt.


Posted from Blogium for iPhone

1 Kommentar:

  1. Liebe Leidensgenossin,
    lieber Leidensgenosse,
    lieber Sohn scheinbarer "Raben-Eltern",

    wie gut ich euch verstehen kann;
    mittlerweile habe ich nämlich auch das Gefühl, die Welt ist voller Menschen, die sich berufen fühlen, ein Kind vor seinen verantwortungslosen Eltern beschützen zu müssen.

    Hier meine bisherigen persönlichen Highlights:

    IHR WERDET DOCH HOFFENTLICH EURE KATZEN WEGGEBEN, JETZT WO IHR EIN KIND BEKOMMT?!

    Anscheinend muss eine Katzenbesitzerin, sobald sie einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hält, mit der anderen unverzüglich die Nummer des örtlichen Tierheims wählen, um ihre blutrünstigen Stubentiger zu entsorgen.
    Hierzu sei zur Beruhigung aller Beunruhigten gesagt: unser Kleiner ist mittlerweile acht Monate alt und keine unserer drei Fellnasen kam bisher auch nur ansatzweise auf die Idee, sich auf sein Gesicht zu legen oder ihm selbiges bis zur Unkenntlichkeit zu zerkraten - wir sind zuversichtlich, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird.

    DER KLEINE SOLL ALSO "TIM" HEISSEN... NUR "TIM"?!

    Freunde, es mag ja in vielen Fällen wirklich schön klingen oder sogar sinnvoll sein, wenn ein Kind zwei oder sogar drei Vornamen auf einmal bekommt. Aber es gibt eben einfach auch Kinder, die mit einem Vornamen auskommen, sogar, wenn dieser nur drei Buchstaben hat. Kaum zu glauben, oder?!

    WIE BITTE??? DU STILLST NICHT MEHR?!

    Fakt war einfach, dass unser Sohnemann beim Stillen immer eingeschlafen ist, wir deshalb ab seiner 6. Lebenswoche schon zufüttern mussten und kurze Zeit später aus eben diesem Grunde komplett auf Flaschennahrung umgestiegen sind.
    Aber ich bin guter Dinge, dass der Kleine trotzdem überleben wird und eine Bindung zu seiner Mutter aufbauen kann, obwohl er nicht bis kurz vor seiner Einschulung an meinem Busen hängen wird...

    WIE KÖNNT IHR DEM KIND NUR GEBRAUCHTE KLAMOTTEN KAUFEN?

    Unfassbar - da veranstalten organisierte Bekleidungs-Dealer hallenfüllende Treffen, um ihre "Stoff" an naive Eltern zu verticken, nennen diese dann harmlos "Kinderbedarfsbörsen" und wir springen natürlich sofort darauf an. Was muten wir unserem Erstgeborenen da nur zu? Kleidung - oftmals nicht einmal Markenartikel - die schon einen Vorbesitzer hatten, wenn nicht sogar mehrere... so kann aus dem Kleinen ja nichts werden...

    DAS MUSS EUCH EUER KIND SCHON WERT SEIN!

    Gläschennahrung aus biologischem Anbau, selbstgekochter Abendbrei ohne Zucker und chemische Zusätze, Windeln namenhafter Hersteller (am besten aus Stoff und waschbar) pädagogisch wertvolles Spielzeug (natürlich ausschliesslich neuwertig), Eltern-Kind-Kurse zur Verbesserung der Motorik und zur Entwicklungssteigerung, und und und... so viele unverzichtbare Dinge, ohne die ein neues Leben scheinbar schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist...

    FAZIT:

    An alle älteren, erfahrenen Ratgeber: eure Ratschläge sind oftmals Gold wert - deshalb behaltet diese Schätze doch am besten für euch! Ihr habt früher als Eltern selbst genügend Dinge gemacht, über die man heutzutage (und vielleicht ja sogar damals schon) nur noch den Kopf schütteln kann... ist denn deshalb nichts aus euren Kindern geworden?! Na also...

    Und auch euch jungen, belesenen und meist bestens internet-gebildeten Mustereltern sei gesagt: nicht alles, was ihr bei Google findet, muss zwangsläufig auch wahr sein; wenn da steht, dass Elvis noch lebt, glaubt ihr das doch auch nicht, oder?!

    So, das musste jetzt alles mal raus (auch wenn es die, die ich damit erreichen wollen würde, wohl sowieso niemals lesen werden)...

    AntwortenLöschen