Sonntag, 25. August 2024

Alltagsantisemitismus

Hör' auf zu feilschen - der denkt noch, wir sind Juden!


Diesen Satz hörte ich letzte Woche im Österreich-Urlaub. Was war passiert? Meine Sonnenbrille hat eine Schraube verloren und ich ging in St. Johann zu einem Optiker. Vor mir wurde ein Paar bedient. Sie: Modell solariumgebräunte Highfidelity-Pressluftschuppentussi, wasserstoffperoxydblondiert mit aufgespritzten Lippen. Er: Modell T-Shirt, Shorts und Flip-Flops. Beide Endvierziger bis Mittfünfziger.

Er hat sich umfangreich zu Ray-Ban-Sonnenbrillen beraten lassen und sich tatsächlich für zwei Modelle entschieden. Der junge Optikermeister war sehr geduldig, erklärte sehr viel (ich wartete rund 20 Minuten…) und wollte dann rund 400 Euro abkassieren. Daraufhin entspann sich folgender Dialog:

Sie: kann man noch was am Preis machen?
Er: rollt genervt mit den Augen...
Optiker: Bei Barzahlung können wir nochmal 4% runtergehen.
Er: das kann ich blitzschnell im Kopf rechnen (nennt falsches Ergebnis).
Optiker: Nennt den richtigen Preis.
Sie: Und sonst ist da nichts mehr zu machen?
Er: Hör' auf zu feilschen - der denkt noch, wir sind Juden!

Der Optiker ging über diesen Kommentar hinweg, blickte mich entschuldigend an, kassierte und die beiden peinlichen Gestalten gingen ihres Weges…

Die beste mögliche Reaktionen meinerseits wäre vermutlich die laute Frage gewesen:
„Entschuldigung, aber was wäre schlimm daran?“

Leider fallen einem die angemessenen Reaktionen oft zu spät ein… Wie habe ich tatsächlich reagiert? Mit fassungslosem Schweigen.

Ach ja: die beiden waren übrigens keine Österreicher. Sie waren Deutsche. Um das Klischee vollends zu bedienen: Vom Dialekt her mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus den neuen Bundesländern. Und ich bin mir ziemlich sicher, welche Partei sie wählen werden.

Nirgendwo in meinem Freundes- und Bekanntenkreis habe ich die letzten 30 Jahre derartige Sprüche gehört. Verkehre ich in grundsätzlich anderen Gesellschaftskreisen oder wird der Alltagsrassismus und -antisemitismus wieder salonfähig?

Wie auch immer - es stimmt, es ist wichtig, es ist richtig: #niewiederistjetzt

(Bild: chatGPT 4o)

Mittwoch, 14. August 2024

Bergsteigen


Genau heute vor einem Jahr ging es auf den Hochkönig - für mich durchaus herausfordernd und wieder hat es uns in die Alpen verschlagen, wieder an meinen Herzensort Mühlbach am Hochkönig, wieder in unser Lieblingshotel "Alpenrose", wo wir beinahe schon als Teil der Familie begrüßt werden. 

Heute habe ich mir als Sonnenaufgangstour den Taghaubegipfel auf 2.150 m vorgenommen. Los ging es 4:20 Uhr. Vom Parkplatz am Dientner Sattel sind es rund 800 Höhenmeter bis zum Gipfel. Bis zur Erichütte in stockdunkler Nacht ging es noch halbwegs kommod zu, am Fuß des Massivs angekommen ging es nur noch steil bergauf, richtig steil. So ab 5:15 dämmerte es und die Sichtverhältnisse wurden gut, kurz nach 6 der Sonnenaufgang. Ein Traum! 7:20 Uhr war ich auf dem Gipfel, 3h später habe ich mir an der Erichhütte ein Weizen gegönnt. Bis zum Auto zurück waren es dann rund 800 Höhenmeter und 7km Wegstrecke. 
Eigentlich war das als Rundwanderung konzipiert. Die Wanderapp Komoot warnte zwar davor, dass es nach dem Gipfel einen sehr gefährlichen Abschnitt gibt, sagte aber nicht, was hier konkret gemeint war. In den Bildern sieht man es (in der Realität nochmals deutlich steiler und tiefer): ich habe vor der Schlucht mit Drahtseil und vereinzelten Sprossen kapituliert. Nicht ohne Ausrüstung. Erst recht nicht, wenn ich alleine unterwegs bin. Ich denke, es gibt einen Unterschied zwischen kalkulierbarem Risiko und Leichtsinn - diesen kleinen Klettersteig zu gehen fällt unter letzteres. 

Meine alpine Ausbildung bei der Bundeswehr war Ende der 90er Jahre. Ich fühle mich nach wie vor sicher genug, um alleine auf Grad 1 unterwegs zu sein, aber nicht für so etwas. Andere gehen das problemlos vermutlich in Sneakern, aber ich habe für mich die Entscheidung getroffen, das Risiko nicht einzugehen.

Apropos alleine: Die Stille im alpinen Gelände vor Sonnenaufgang fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Unvergleichlich! Puls hoch, Kopf frei, Natur pur. Wenigstens einmal im Jahr gönne ich mir das. Und ja, ein wenig bin ich dann doch stolz auf mich. Solche Dinge wären mit meinen ehemaligen „Kampfgewicht“ bzw. mit einem BMI > 40 nicht möglich gewesen.

Gibt es bei euch auch ein Urlaubsritual? Was darf nicht fehlen?