… „eigentlich nur eine Krankenschwester!“ meint mein Gegenüber, ehemaliger Grundwehrdienstleistender bei den Fallschirmjägern und heute leidenschaftlicher Airsoftspieler, der sich mehrmals im Jahr als Soldat verkleidet und auf Truppenübungsplätzen im ehemaligen Ostblock „Krieg spielt“.
Ich überlege, ob ich ihm erzählen soll, was mich seit Sarajevo und Prizren 1998 und 2000 bewegt. Ob ich ihm vom soldatischen Leben in einem Feldlager berichten soll, von bis zu sechs Monaten am Stück Abwesenheit von Familie, Freundes- und Bekanntenkreis? Vom Gefühl der permanenten latenten Gefahr für Leib und Gesundheit im Einsatzland auf der einen und die langen Zeiten eintöniger, dröger Ereignislosigkeit, Routine und Langeweile auf der anderen Seite, die Soldaten schulterzuckend mit „Jeder Tag ist Mittwoch“ akzeptieren? Vom bürokratischen Wahnsinn, der auch im Einsatzland nicht Halt macht, vom Vertrauensverlust in Institutionen und Vorgesetzte, von der vielbeschworenen, gelebten Kameradschaft, die man so in dieser Form nur unter Einsatzsoldaten findet – die meiner Erfahrung nach aber leider oftmals mit der Dienstgradgruppe endete?
Soll ich ihm erklären, was es bedeutet, 24/7 bewaffnet zu sein und nur auf Befehl und mit Splitterschutzweste, geladener Waffe usw. das Feldlager verlassen zu können? Von der massiven Grundanspannung, mit militärischen Fahrzeugen im normalen, zivilen Straßenverkehr unterwegs zu sein, vom unguten Gefühl bei jedem durch Staus oder ähnlichem erzwungenen Halt? Von der Angst bei nächtlichen Patrouillenfahrten? Erzähle ich von der Ohnmacht, nicht helfen zu können; vom Gefühl, als Rettungssanitäter in einer Medevac-Einheit eventuell nicht gut genug ausgebildet geschweige denn ausgerüstet zu sein - vom Rettungsdienstalltag im Einsatz, der so ganz anders ist als in Deutschland? Vom Leid der Bevölkerung, von der allgegenwärtigen Armut, die man wohlstandsverwöhnt, wie man als Deutscher ist, vorher nicht einmal erahnen konnte? Von den toten Kindern, die von Blindgängern oder Minen zerrissen wurden oder sich beim Spielen mit Waffen gegenseitig umgebracht haben? Von den Exhumierungen durch das Kriegsverbrechertribunal, bei denen meist Kampfmittelbeseitiger und damit auch „Sanis“ dabei waren? Vom alles durchdringenden, süßlich-herben und brechreizerregenden Verwesungsgestank, an den man sich viel zu schnell gewöhnt, den man aber nie mehr gänzlich aus der Nase bekommt? Von der eigenen Hilflosigkeit, wenn Kameraden, mitunter die härtesten Hunde, im Einsatz psychisch zusammenklappen und man ihnen nicht helfen kann, man mit ihnen leidet? Von den Suiziden im Kameradenkreis? Von der beinahe körperlich greifbaren Trauer im gesamten Feldlager bei Todesfällen im Kontingent? Vom dennoch befriedigenden Gefühl, trotz allem an etwas Wichtigem teilzuhaben, das größer ist als man selbst; als kleiner Teil des großen Ganzen schlimmeres Unheil zu verhindern und aktiv helfen zu können?
Erwähne ich die nächtlichen Schüsse in der direkt ans Feldlager angrenzenden Stadt, die in der Morgenlage oftmals als „landestypische Freudenfeuerwerke“ erklärt wurden oder das drive-by-Shooting, als aus einem am Feldlager vorbeifahrenden Auto Feuerstöße auf den Sichtschutzzaun abgegeben wurden und nur der holden Fortuna dankend niemand verletzt oder gar getötet wurde? Ob er es versteht, dass ich noch heute, 20 Jahre später, jedes Mal unmittelbar an Minen und Sprengfallen denken muss, wenn ich befestigte Wege verlasse? Dass die Einsätze immer noch Bestandteil meiner Gedankenwelt und gelegentlich auch der nächtlichen Träume sind? So viele Gedanken, Erinnerungen und Eindrücke, gute wie schlechte, drängen bei seinem Spruch an die Oberfläche...
Ich atme tief durch. Ich erspare mir fruchtlose Diskussionen über Truppengattungen und Einsatzerfahrungen, erspare mir belehrende Kommentare im Sinne von „Du warst ja schließlich freiwillig dort…“ oder „Heute in Afghanistan ist alles viel schlimmer“. Ich akzeptiere, dass er all das nicht verstehen kann und will - und antworte nur: „Du weißt doch: Seit letztem Jahr ist jeder, der gedient hat, ein Veteran. Auch Du.“
Und denke, nicht ganz ohne Stolz: „Aber ich bin EinsatzVeteran!“
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