Es scheint zu stimmen: Der Klassismus dominiert das Weltbild
von Leuten, die augenscheinlich immer jemanden brauchen, auf den sie
herabschauen können. Während Hohn und Spott gegen das Prekariat durch Cindy aus
Mahrzahn und Scripted Reality Shows leider schon beinahe salonfähig wurden, ist in den sozialen Medien, in diversen Online-Foren usw. eine ganz neue Art von
Snobismus zu beobachten: Es wird gegen Dicke geschossen. Aus allen Rohren.
Dort lassen Kommentare und Statements erkennen, dass
übergewichtige Menschen ein ganz mieser Haufen zu sein scheinen. Man mag
geradezu zwangsläufig postulieren, dass die Kommentatoren mit ihrer abwertenden
Haltung zu einer gewissen Oberflächlichkeit neigen. Sie fühlen sich beleidigt
und bedroht, wenn ihnen nicht die ihrer Meinung nach zustehende Huldigung für
ihr Äußeres zuteilwird. Sie definieren sich über ihre vermeintliche
Attraktivität – warum sonst sollten sie sich beständig und tagtäglich
wiederkehrend über das Aussehen anderer mokieren? Um sich diesem Vorwurf aber
nicht allzu offen aussetzen zu müssen, geht man aber in einem weiteren Schritt
noch viel perfider vor. Man maßt sich nicht nur an, den eigenen Maßstab an
körperlicher Attraktivität global anzuwenden – Menschen, die tatsächlich
Übergewichtige attraktiv finden, haben einen „Fettfetisch“ - , nein, man
bewertet noch weitere Attribute oder gar den Charakter eines
Übergewichtigen. Der Kommentator fühlt
sich vermutlich gleich besser, kann er doch sagen: „Dicke Menschen sind
undiszipliniert, dumm, faul, träge, unsportlich, krank, liegen die ganze Zeit
nur faul auf dem Sofa und schaufeln alles erreichbare in sich hinein, sie
belasten durch ihre Folgeerkrankungen die Sozial- und Gesundheitskassen“ usw.
Es gibt kein Klischee, kein Vorurteil, das nicht zu billig ist, um als Sau durchs
Dorf getrieben zu werden, keine Despektierlichkeit wird ausgelassen.
Man teilt die Dicken auch
noch in unterschiedliche Gruppen auf. Die mit ein bisschen Übergewicht,
die Dicken und die Fetten. Und natürlich die ehemaligen Fetten, die jetzt nur
noch dick sind. Man kotzt sich aus, dass man die Übergewichtigen im Allgemeinen
ziemlich eklig findet, sucht sich aber unter den „Fettis“ auch gleich eine
Gruppe aus – die, die abgenommen haben – die man mit Lob überschüttet und ins
eigene Boot holt. So belegt man, dass man ja nicht grundsätzlich etwas gegen
Dicke hat. Dadurch, dass Verbündete ins Boot geholt werden, die man eigentlich
ablehnt, sichert sich diese Art von Snobismus sein Überleben. Mit dieser
Methode wähnt man sich glaubwürdiger, man wähnt sich als Bedenkenträger und
nicht als Vertreter der schnöden Oberflächlichkeit. Es verwundert nicht weiter,
dass sich diejenigen, die nicht dem Ideal der Schlanken entsprechen, mit
dumm-dreisten Sprüchen über Hunde und Knochen wehren – allerdings ist das
natürlich ebenso wenig zielführend, zumal durchaus Reaktion mit Aktion
verwechselt werden kann und ich schon mehrfach lesen musste: „Ja ich würde die
Dicken ja in Ruhe lassen – aber die beleidigen uns Schlanke doch!“ Was war
zuerst da: Henne oder Ei?
Dennoch möchte ich an dieser Stelle auf ein Vorurteil näher eingehen. "Dicke Menschen belasten die Sozial- und Gesundheitskassen". Völliger Blödsinn. Die NY-Times titelte am 5. Februar 2008 ziemlich platt: Smokers and the obese cheaper to care for, study shows. Noch einfacher ausgedrückt: Schlanke Nichtraucher kommen den Staat wesentlich teurer als Raucher und Dicke. Grundlage des Artikels ist eine Studie niederländischer Wissenschaftler, die anhand einer Simulation einfach belegen, dass die meisten Gesundheitskosten in der letzten Lebensphase entstehen. Der gesunde Nichtraucher hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 84 Jahren, der Übergewichtige und Raucher deutlich darunter. Insofern lässt sich feststellen, dass die "Ersparnis" der Sozialkassen bei schlanken Menschen, die nicht an Folgeerkrankungen der Adipositas wie koronaren Herzkrankheiten usw. vergleichsweise frühzeitig versterben, diese Kosten zum einen durch den höheren Rentenanspruch und durch die Gesundheitskosten in der letzten Lebensphase ebenfalls anfällt und sogar noch höher ist, als bei den Adipösen oder Rauchenden. Dieser Umstand wird gerne vergessen, wenn auf die Folgekosten des Übergewichts hingewiesen wird. Auch wenn das nun sicher kein Plädoyer für das "sozialverträgliche Frühableben", Mißfelder lässt grüßen, sein soll - so soll es doch als Wunsch einer freien Gesellschaft verstanden werden, in der ein jeder Eigenverantwortung übernimmt. Es muss, im Wissen um die Folgen, einem jeden selbst freigestellt sein, wie er sein Leben gestaltet. Bis zu einem gewissen Grad entscheidet man sich selbst für oder gegen Übergewicht, schlicht und ergreifend dadurch, ob man Sport und relativer Enthaltsamkeit hohe Priorität einräumt oder nicht. Ich persönlich bin ein Genussmensch, der sich zwar sportlich betätigt aber eben auch gerne und auch gerne mal viel isst und dem Familie, Beruf, Weiterbildung und Karriere wichtiger sind als Idealgewicht und Sixpack.
Jedem Tierchen sein Pläsierchen und ein jeder nach seiner Façon.
Lasst doch die Dicken dick sein und die Schlanken schlank und hört auf, euch
über euer Aussehen zu definieren oder euch anderen aufgrund der Figur überlegen
zu fühlen.
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