Donnerstag, 11. September 2014

Schlank versus mollig - das neue Schlachtfeld des Snobismus

Es scheint zu stimmen: Der Klassismus dominiert das Weltbild von Leuten, die augenscheinlich immer jemanden brauchen, auf den sie herabschauen können. Während Hohn und Spott gegen das Prekariat durch Cindy aus Mahrzahn und Scripted Reality Shows leider schon beinahe salonfähig wurden, ist in den sozialen Medien, in diversen Online-Foren usw. eine ganz neue Art von Snobismus zu beobachten: Es wird gegen Dicke geschossen. Aus allen Rohren.

Dort lassen Kommentare und Statements erkennen, dass übergewichtige Menschen ein ganz mieser Haufen zu sein scheinen. Man mag geradezu zwangsläufig postulieren, dass die Kommentatoren mit ihrer abwertenden Haltung zu einer gewissen Oberflächlichkeit neigen. Sie fühlen sich beleidigt und bedroht, wenn ihnen nicht die ihrer Meinung nach zustehende Huldigung für ihr Äußeres zuteilwird. Sie definieren sich über ihre vermeintliche Attraktivität – warum sonst sollten sie sich beständig und tagtäglich wiederkehrend über das Aussehen anderer mokieren? Um sich diesem Vorwurf aber nicht allzu offen aussetzen zu müssen, geht man aber in einem weiteren Schritt noch viel perfider vor. Man maßt sich nicht nur an, den eigenen Maßstab an körperlicher Attraktivität global anzuwenden – Menschen, die tatsächlich Übergewichtige attraktiv finden, haben einen „Fettfetisch“ - , nein, man bewertet noch weitere Attribute oder gar den Charakter eines Übergewichtigen.  Der Kommentator fühlt sich vermutlich gleich besser, kann er doch sagen: „Dicke Menschen sind undiszipliniert, dumm, faul, träge, unsportlich, krank, liegen die ganze Zeit nur faul auf dem Sofa und schaufeln alles erreichbare in sich hinein, sie belasten durch ihre Folgeerkrankungen die Sozial- und Gesundheitskassen“ usw. Es gibt kein Klischee, kein Vorurteil, das nicht zu billig ist, um als Sau durchs Dorf getrieben zu werden, keine Despektierlichkeit wird ausgelassen.

Man teilt die Dicken auch  noch in unterschiedliche Gruppen auf. Die mit ein bisschen Übergewicht, die Dicken und die Fetten. Und natürlich die ehemaligen Fetten, die jetzt nur noch dick sind. Man kotzt sich aus, dass man die Übergewichtigen im Allgemeinen ziemlich eklig findet, sucht sich aber unter den „Fettis“ auch gleich eine Gruppe aus – die, die abgenommen haben – die man mit Lob überschüttet und ins eigene Boot holt. So belegt man, dass man ja nicht grundsätzlich etwas gegen Dicke hat. Dadurch, dass Verbündete ins Boot geholt werden, die man eigentlich ablehnt, sichert sich diese Art von Snobismus sein Überleben. Mit dieser Methode wähnt man sich glaubwürdiger, man wähnt sich als Bedenkenträger und nicht als Vertreter der schnöden Oberflächlichkeit. Es verwundert nicht weiter, dass sich diejenigen, die nicht dem Ideal der Schlanken entsprechen, mit dumm-dreisten Sprüchen über Hunde und Knochen wehren – allerdings ist das natürlich ebenso wenig zielführend, zumal durchaus Reaktion mit Aktion verwechselt werden kann und ich schon mehrfach lesen musste: „Ja ich würde die Dicken ja in Ruhe lassen – aber die beleidigen uns Schlanke doch!“ Was war zuerst da: Henne oder Ei?

Die einzelnen Vorurteile gegenüber den Dicken in ihre Einzelteile zu zerlegen ist unnötig, man kommt sehr schnell in eine Art Verteidigungshaltung. Dass Übergewicht eben nicht synonym mit "undiszipliniert" und "träge" gleichzusetzen sondern einfach nur der Tatsache geschuldet ist, dass dem Normalgewicht nicht die die Bedeutung beigemessen wird und andere Prioritäten jenseits der rein oberflächlichen Betrachtung körperlicher Attribute gesetzt werden, erklärt sich einem reflektiert denkenden Menschen selbst.

Dennoch möchte ich an dieser Stelle auf ein Vorurteil näher eingehen. "Dicke Menschen belasten die Sozial- und Gesundheitskassen". Völliger Blödsinn. Die NY-Times titelte am 5. Februar 2008 ziemlich platt: Smokers and the obese cheaper to care for, study shows. Noch einfacher ausgedrückt: Schlanke Nichtraucher kommen den Staat wesentlich teurer als Raucher und Dicke. Grundlage des Artikels ist eine Studie niederländischer Wissenschaftler, die anhand einer Simulation einfach belegen, dass die meisten Gesundheitskosten in der letzten Lebensphase entstehen. Der gesunde Nichtraucher hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 84 Jahren, der Übergewichtige und Raucher deutlich darunter. Insofern lässt sich feststellen, dass die "Ersparnis" der Sozialkassen bei schlanken Menschen, die nicht an Folgeerkrankungen der Adipositas wie koronaren Herzkrankheiten usw. vergleichsweise frühzeitig versterben, diese Kosten zum einen durch den höheren Rentenanspruch und durch die Gesundheitskosten in der letzten Lebensphase ebenfalls anfällt und sogar noch höher ist, als bei den Adipösen oder Rauchenden. Dieser Umstand wird gerne vergessen, wenn auf die Folgekosten des Übergewichts hingewiesen wird. Auch wenn das nun sicher kein Plädoyer für das "sozialverträgliche Frühableben", Mißfelder lässt grüßen, sein soll - so soll es doch als Wunsch einer freien Gesellschaft verstanden werden, in der ein jeder Eigenverantwortung übernimmt. Es muss, im Wissen um die Folgen, einem jeden selbst freigestellt sein, wie er sein Leben gestaltet. Bis zu einem gewissen Grad entscheidet man sich selbst für oder gegen Übergewicht, schlicht und ergreifend dadurch, ob man Sport und relativer Enthaltsamkeit hohe Priorität einräumt oder nicht. Ich persönlich bin ein Genussmensch, der sich zwar sportlich betätigt aber eben auch gerne und auch gerne mal viel isst und dem Familie, Beruf, Weiterbildung und Karriere wichtiger sind als Idealgewicht und Sixpack.

Jedem Tierchen sein Pläsierchen und ein jeder nach seiner Façon. Lasst doch die Dicken dick sein und die Schlanken schlank und hört auf, euch über euer Aussehen zu definieren oder euch anderen aufgrund der Figur überlegen zu fühlen. 


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