Dienstag, 3. Mai 2016

Kommentar zum Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg

Quelle: bit.ly/1rcRiA7
Die Grünen wollen mit der CDU ganz, ganz viel, taucht das Verb „wollen“ doch im 56.099 Worte umfassenden Koalitionsvertrag gleich 508 mal auf. Sie wollen vor allem eines, nämlich „prüfen“ – ganze 132 mal. Natürlich auch auf Nachhaltigkeit, 135 mal. Nur eines wollen sie nicht – handeln bzw. umsetzen – denn „umsetzen“ taucht gerade 36 mal auf. Aber bei den Sachen, die sie tun „werden“ – immerhin 943 mal, zumeist in Zusammenhang mit dem „prüfen“, brauchen sie vor allem eines – das Ehrenamt, das 40 mal explizit erwähnt wird. Das ist löblich, aber geht es um die Förderung (108 mal), wird hauptsächlich geprüft. Wir erinnern uns – 132 mal. Man hat den Eindruck, als drücke sich die neue Landesregierung vor klaren Aussagen, es muss ja zunächst einmal geprüft werden. Auch scheint vieles im Unklaren zu sein, man muss ja prüfen. Haben die Koalitionspartner vor den Verhandlungen ihre Hausaufgaben nicht gemacht? Es scheint ganz so, also lohnt ein prüfender Blick auf die ausgehandelten Inhalte:

Der Koalitionsvertrag mag durchaus mit schwarzer Tinte geschrieben sein, aber Handschrift und Überschriften sind grün. Bei der Aufteilung der Ministerien, fünf zu den Grünen, fünf zur CDU, hat letztere doch im festen Willen einer Regierungsbeteiligung in einige saure Äpfel beißen müssen. Dass ausgerechnet die Grünen das Finanzressort übernehmen, muss für die CDU doch ein Schlag ins Gesicht sein. Bekanntlich hat der Schatzmeister das letzte Wort. Das Ministerium für den ländlichen Raum landet nun bei der CDU – allerdings nun ohne den Naturschutz, der bleibt selbstverständlich bei den Grünen, ungeachtet aller Schnittmengenprobleme. Schlussendlich ein eigenes Ministerium speziell für die Landwirte. Das Integrationsministerium wird aufgelöst und geht im Innenministerium, oder korrekterweise „Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration“ und im Sozialministerium mit dem Bereich Integration auf. Es liegt auf der Hand, dass hier Ärger vorprogrammiert ist. Auch das Umfallen der schwarzen Koalitionsverhandler in Sachen Gemeinschaftsschule und G9-Gymnasium dürfte vielen CDU-Wählern nicht schmecken. Erstere werden nicht nur beibehalten, es sollen auch weitere genehmigt werden und vom schwarzen Wahlversprechen der Wahlfreiheit zwischen G8 und G9-Gymnasien blieb nichts übrig. Dass die Realschulen nun zusätzliche Poolstunden erhalten und damit gestärkt werden sollen, wirkt nur wie ein schwaches Rückzugsgefecht, um das Gesicht zu wahren. Auch Winfried Hermann wird seine autofeindliche Politik fortsetzen kann, das werden künftige Wähler wohl eher der CDU denn den Grünen anlasten.

Es verwundert nicht weiter, dass grün und schwarz in Sachen Einschränkung der Bürgerrechte ins gleiche Horn stoßen. „Präventiv-polizeiliche Erhebung“, andernorts Vorratsdatenspeicherung genannt und die „Ermöglichung der präventiven Telekommunikationsüberwachung“ sollen ausgebaut werden – der feuchte Traum Schäubles wird wahr. Das Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen soll ausgebaut und in die Hand der Kommunen gegeben werden, die dieses örtlich und zeitlich begrenzt aussprechen dürfen. Dass die Polizei bereits jetzt schon die Möglichkeit hat, Platzverweise auszusprechen, sollte als Maßnahme eigentlich genügen. Dennoch wird jetzt der mündige Bürger, der den abendlichen Sonnenuntergang mit einem Bierchen auf einem öffentlichen Platz genießen will, ans Gängelband einer ideologisierten Politik genommen.

325 Millionen Euro sollen in den nächsten fünf Jahren zum Ausbau der digitalen Infrastruktur ausgegeben werden. Vor dem Hintergrund der im ländlichen Raum vorherrschenden digitalen Steinzeit ein vergleichsweise geringer Betrag, der vor allem ohne Refinanzierungsvorschlag vereinbart wurde. Es hätte hier durchaus die Möglichkeit gegeben, eine Milliarde Euro zu investieren, hätte man die Landesstiftung, die sich ohnehin mehr selbst verwaltet als sinnbringende Förderungen auf den Weg zu bringen, schlicht und ergreifend aufgelöst. Es liegt nun ausgerechnet an den Grünen, das aktuelle Haushaltsdefizit von 1,8 Milliarden Euro jährlich einzusparen, um dauerhaft ohne neue Schulden auskommen zu können.

Das Koalitionspapier zeigt vor allem eines: Die Grünen sind in großen Teilen in der Realpolitik angekommen und die CDU ist sehr wandelbar, wenn es um den klassischen Politikbegriff im Sinne von Macht, Machterlangung und Machterhalt geht. Bleibt die Frage, wie kurz das Kurzzeitgedächtnis des klassischen CDU-Wählers tatsächlich ist und ob die CDU in fünf Jahren die Rechnung fürs Steigbügelhalten erhalten wird.


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