Sonntag, 15. August 2010

Willkommen im Sommerloch

Was haben wir in den letzten Dekaden nicht erlebt, wenn sich Deutschland im Sommerloch befand. 2008 regte sich das Volk über den CDU Vorstoß auf, Nummernschilder für Fahrräder einzuführen. Im Jahr zuvor wurde das Sommerloch von Gabriele Pauli gestopft, als sie allen Ernstes vorschlug, Ehen zeitlich zu begrenzen. Den bisherigen Vogel schoss sicher 1993 der CSU-Politiker Jobst ab, als er Mallorca als 17. Bundesland zu annektieren gedachte.

Was haben all diese Sommerlochthemen gemein? Richtig: Daran erinnert, denkt man unwillkürlich "Stimmt, da war doch mal was!" Ich bin ziemlich sicher, mit den diesjährigen Anwärtern auf den Award, Street-View und Stuttgart21 wird uns das in einigen Jahren ebenso ergehen.

Während ich noch ansatzweise nachvollziehen kann, warum diese Woche rund 20.000 Bürger, also sagenhafte 3,4% der 580.000 Einwohner Stuttgarts von ihrem Grundrecht Gebrauch machen und ihrem Anliegen durch Demonstrationen die angemessene Wertigkeit verleihen und sich durch die Sinnlosigkeit ihres Tuns nicht abschrecken lassen, so fehlt mir jegliches Verständnis beim pseudointellektuellen Aufschrei des Entsetzens zum Thema Google-Street-View.

Das Recht der informellen Selbstbestimmung endet in meinen Augen dort, wo die Öffentlichkeit beginnt. Und was bitteschön ist öffentlicher als eine Hausfassade? Am Besten finde ich die Argumentation, dass Einbrecher Aufnahmen meines Hauses zum Ausspähen verwenden könnten. Vermutlich bemängelte genau diesen Umstand jemand, dessen aktuelle Facebook-Statusmeldung lautet: "Ab sofort 3 Wochen auf Malle." Seien wir doch mal realistisch: Potenzielle Einbrecher, ohne dass ich hier jetzt über nähere Erfahrungen verfüge, werden ein Objekt doch sicher live, in Farbe und 3D ausbaldowern. Und das schafft Google mit Sicherheit nicht, solange die NSA ihre Satelliten unter Kontrolle behält.

Besonders anschaulich finde ich die Anektode von vier Düsseldorfer Rentnern. Diese sprechen sich in ihrem gerechten Zorn gegen Street-View aus, gründen hierzu eine Bewegung und die lokale Presse lichtet die streitbaren Rentner vor ihrem Haus ab. Im entsprechenden Artikel der Rheinischen Post werden Ihre Namen erwähnt, sodass es nun mit einem stinknormalen Telefonbuch kein allzugroßes Problem darstellt, die exakte Adresse zu ermitteln. Ich gratuliere den Herren Hillesheim, Richter und dem Ehepaar Jeschkowski aus dem Mendelweg 47-53 ganz herzlich zu diesem Geniestreich.

In eigener Sache: Während meines Sommerurlaubs, exakt einen Tag vor meinem 33. Geburtstag, entdeckte meine bessere Hälfte mein erstes graues Haar. Das ist mein ureigenes Sommerlochthema 2010.