Sonntag, 23. November 2014

Jebsen und die Antilopengang

Zugegeben, ich habe heute das erste mal von der Antilopengang gehört. Es ist nicht wirklich meine Musikrichtung, aber der Text von "Beate Zschäpe hört U2" brachte mich zum Schmunzeln. Zum Lachen allerdings brachte mich die Meldung, dass Ken Jebsen den Jungs einen Anwalt auf den Hals gehetzt hat. Eine Abmahnung von Jebsen wegen "Unwahre Tatsachenbehauptungen/üble Nachrede betreffend Herrn Ken Jebsen" entbehrt nicht nur nicht einer gewissen Ironie, das ist geradezu Realsatire in Reinkultur! 

Die Gang trägt's mit Fassung und schreibt auf ihrer Facebookseite: "Wer sich „Aversion“ noch nicht zugelegt hat, sollte sich lieber beeilen, denn es könnte bald zu spät sein" Man könnte es ja fast für einen Marketinggag halten, die Publicity ist jedenfalls unbezahlbar und war von Jebsen, dem Medienprofi, sicher nicht geplant. Sie nehmen ausführlicher zur Abmahnung Stellung, ich hätte es kaum besser formulieren können:

"Der Berliner Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen (spricht u.a. im Zusammenhang mit dem Massenmord vom 11. September 2001 von einer „Terrorlüge“ bzw. vom „warmen Abriss des World Trade Centers“) hat die Anwaltskanzlei „Scheuermann Westerhoff Strittmatter“ damit beauftragt, unser Lied "Beate Zschäpe hört U2" zu verbieten, weil er sich dadurch verunglimpft sieht. Ken Jebsen droht uns durch seine Anwälte mit gerichtlichen Schritten und Schadensersatz, sollten wir das Lied weiter verbreiten. Es belustigt uns, dass ausgerechnet der Typ, der ständig mit den abenteuerlichsten Anschuldigungen und wildesten Theorien gegen politische Gegner schießt, sofort schwerste rechtliche Geschütze auffährt und mit Strafandrohungen um sich wirft, wenn er sich mal selbst betroffen fühlt. Wir sind uns sicher, dass wir als Künstler in unserer Musik die Freiheit haben müssen, zu sagen, was wir sagen möchten, ohne dass direkt irgendein dahergelaufener Otto oder Ken ankommt, der uns inhaltlich beschneiden will und unseren finanziellen Ruin in Kauf nimmt. Bevor wir uns weiter dazu äußern, werden wir die nächsten Schritte nun sorgfältig prüfen müssen. Einschüchtern lassen wir uns jedenfalls nicht."

Und worum geht's konkret? Um diesen Songtext:


In jedem Provinznest gibt es ein paar Kneipen
Die irgendwas mit „Deutsch“, „Heimat“ oder „Adler“ heißen
An ihren Theken sitzen überall die selben H"&?söhne
Sie fordern sowas wie den Volksentscheid auf Bundesebene
Du musst ein Deutscher sein, wenn du in diese Kneipen gehst
Und immerzu betonen, dass es den Deutschen scheiße geht
Sie würden überfremdet, weil Flüchtlinge kämen
Die alle kriminell sind und sich nicht benehmen
Es wär so schrecklich, denn Oma ihre Rente
Fällt nun angeblich irgendwelchen Roma in die Hände
Und aufgrund inländerfeindlicher Familienpolitik
Wünscht man sich Eva Hermann oder gleich Hitler zurück
Zwischen Schnaps und Bier wird der Hass geschürt
Der sich auf jeden Fall mit einem Knall entladen wird
Denn heute dreschen sie noch Stammtischparolen
Doch morgen haben sie Sprengstoff und scharfe Pistolen


[Hook]

Und Günter Grass schreibt ein neues Gedicht
Und Beate Zschäpe hört U2
Und MaKss Damage landet ´nen Hit
Und Beate Zschäpe hört U2
Und aus dem Jenseits lacht Jürgen Möllemann
Und der Holger Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Und Max Mustermann zündet ein Flüchtlingsheim an
Deutschland, Deutschland du tüchtiges Land

In jeder Stadt gibt es ein paar elendige Nazis
Die versuchen ihren Gegnern das Leben schwerzumachen
Ich kenn das Gefühl, wenn ständig vor der Tür
Kameraden auf dich warten und dich terrorisieren
Ich erinner‘ mich bis heute, das Klirren der Scheiben
Gemischt mit schrillen Schreien, riss mich aus den Träumen
Ich war mir sicher, dass sie diesmal in der Wohnung sind
Stieg aus dem Fenster um über den Balkon zu fliehen
In Todesangst saß ich auf dem Giebel
Den Griechen haben sie gejagt und gestiefelt
Sie hatten vor der Tür gewartet diese Schweine
Und als die Tür dann aufging hagelte es Steine
Sie haben unseren Tod in Kauf genommen
Nur durch ein Wunder sind die Jungs da nochmal rausgekommen
Aber nächstes Mal könnte das anders ausgehen
Ich beschloss in eine andere Stadt umzuziehen
[Hook]
Jeder kennt einen der von Verschwörung schwadroniert
Und er weiß wer die Medien und Börsen kontrolliert
Dem es leichtfällt die Welt in Gut und Böse zu sortieren
Und er kennt auch immer eine simple Lösung des Problems
Zu Verschwörungstheorien gehören Vernichtungsfantasien
Sie können sagen was sie wollen, sie sind schlicht Antisemiten
All die Pseudo-Gesellschaftskritiker
Die Elsässer, KenFM-Weltverbesserer
Nichts als Hetzer in deutscher Tradition
Die den Holocaust nicht leugnen, sie deuten ihn um
Die Nazis von heute sind friedensbewegt
Und sie sind sehr um Palästina bemüht
Sie sind tierlieb, doch sie wollen Kinderschänder lynchen
Und sie wissen dass die Chefs der Welt im Hinterzimmer sitzen
Man kann und darf mit diesen Leuten gar nicht mehr reden
Es sollte nur darum gehen ihnen das Handwerk zu legen
[Hook]



Donnerstag, 11. September 2014

Schlank versus mollig - das neue Schlachtfeld des Snobismus

Es scheint zu stimmen: Der Klassismus dominiert das Weltbild von Leuten, die augenscheinlich immer jemanden brauchen, auf den sie herabschauen können. Während Hohn und Spott gegen das Prekariat durch Cindy aus Mahrzahn und Scripted Reality Shows leider schon beinahe salonfähig wurden, ist in den sozialen Medien, in diversen Online-Foren usw. eine ganz neue Art von Snobismus zu beobachten: Es wird gegen Dicke geschossen. Aus allen Rohren.

Dort lassen Kommentare und Statements erkennen, dass übergewichtige Menschen ein ganz mieser Haufen zu sein scheinen. Man mag geradezu zwangsläufig postulieren, dass die Kommentatoren mit ihrer abwertenden Haltung zu einer gewissen Oberflächlichkeit neigen. Sie fühlen sich beleidigt und bedroht, wenn ihnen nicht die ihrer Meinung nach zustehende Huldigung für ihr Äußeres zuteilwird. Sie definieren sich über ihre vermeintliche Attraktivität – warum sonst sollten sie sich beständig und tagtäglich wiederkehrend über das Aussehen anderer mokieren? Um sich diesem Vorwurf aber nicht allzu offen aussetzen zu müssen, geht man aber in einem weiteren Schritt noch viel perfider vor. Man maßt sich nicht nur an, den eigenen Maßstab an körperlicher Attraktivität global anzuwenden – Menschen, die tatsächlich Übergewichtige attraktiv finden, haben einen „Fettfetisch“ - , nein, man bewertet noch weitere Attribute oder gar den Charakter eines Übergewichtigen.  Der Kommentator fühlt sich vermutlich gleich besser, kann er doch sagen: „Dicke Menschen sind undiszipliniert, dumm, faul, träge, unsportlich, krank, liegen die ganze Zeit nur faul auf dem Sofa und schaufeln alles erreichbare in sich hinein, sie belasten durch ihre Folgeerkrankungen die Sozial- und Gesundheitskassen“ usw. Es gibt kein Klischee, kein Vorurteil, das nicht zu billig ist, um als Sau durchs Dorf getrieben zu werden, keine Despektierlichkeit wird ausgelassen.

Man teilt die Dicken auch  noch in unterschiedliche Gruppen auf. Die mit ein bisschen Übergewicht, die Dicken und die Fetten. Und natürlich die ehemaligen Fetten, die jetzt nur noch dick sind. Man kotzt sich aus, dass man die Übergewichtigen im Allgemeinen ziemlich eklig findet, sucht sich aber unter den „Fettis“ auch gleich eine Gruppe aus – die, die abgenommen haben – die man mit Lob überschüttet und ins eigene Boot holt. So belegt man, dass man ja nicht grundsätzlich etwas gegen Dicke hat. Dadurch, dass Verbündete ins Boot geholt werden, die man eigentlich ablehnt, sichert sich diese Art von Snobismus sein Überleben. Mit dieser Methode wähnt man sich glaubwürdiger, man wähnt sich als Bedenkenträger und nicht als Vertreter der schnöden Oberflächlichkeit. Es verwundert nicht weiter, dass sich diejenigen, die nicht dem Ideal der Schlanken entsprechen, mit dumm-dreisten Sprüchen über Hunde und Knochen wehren – allerdings ist das natürlich ebenso wenig zielführend, zumal durchaus Reaktion mit Aktion verwechselt werden kann und ich schon mehrfach lesen musste: „Ja ich würde die Dicken ja in Ruhe lassen – aber die beleidigen uns Schlanke doch!“ Was war zuerst da: Henne oder Ei?

Die einzelnen Vorurteile gegenüber den Dicken in ihre Einzelteile zu zerlegen ist unnötig, man kommt sehr schnell in eine Art Verteidigungshaltung. Dass Übergewicht eben nicht synonym mit "undiszipliniert" und "träge" gleichzusetzen sondern einfach nur der Tatsache geschuldet ist, dass dem Normalgewicht nicht die die Bedeutung beigemessen wird und andere Prioritäten jenseits der rein oberflächlichen Betrachtung körperlicher Attribute gesetzt werden, erklärt sich einem reflektiert denkenden Menschen selbst.

Dennoch möchte ich an dieser Stelle auf ein Vorurteil näher eingehen. "Dicke Menschen belasten die Sozial- und Gesundheitskassen". Völliger Blödsinn. Die NY-Times titelte am 5. Februar 2008 ziemlich platt: Smokers and the obese cheaper to care for, study shows. Noch einfacher ausgedrückt: Schlanke Nichtraucher kommen den Staat wesentlich teurer als Raucher und Dicke. Grundlage des Artikels ist eine Studie niederländischer Wissenschaftler, die anhand einer Simulation einfach belegen, dass die meisten Gesundheitskosten in der letzten Lebensphase entstehen. Der gesunde Nichtraucher hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 84 Jahren, der Übergewichtige und Raucher deutlich darunter. Insofern lässt sich feststellen, dass die "Ersparnis" der Sozialkassen bei schlanken Menschen, die nicht an Folgeerkrankungen der Adipositas wie koronaren Herzkrankheiten usw. vergleichsweise frühzeitig versterben, diese Kosten zum einen durch den höheren Rentenanspruch und durch die Gesundheitskosten in der letzten Lebensphase ebenfalls anfällt und sogar noch höher ist, als bei den Adipösen oder Rauchenden. Dieser Umstand wird gerne vergessen, wenn auf die Folgekosten des Übergewichts hingewiesen wird. Auch wenn das nun sicher kein Plädoyer für das "sozialverträgliche Frühableben", Mißfelder lässt grüßen, sein soll - so soll es doch als Wunsch einer freien Gesellschaft verstanden werden, in der ein jeder Eigenverantwortung übernimmt. Es muss, im Wissen um die Folgen, einem jeden selbst freigestellt sein, wie er sein Leben gestaltet. Bis zu einem gewissen Grad entscheidet man sich selbst für oder gegen Übergewicht, schlicht und ergreifend dadurch, ob man Sport und relativer Enthaltsamkeit hohe Priorität einräumt oder nicht. Ich persönlich bin ein Genussmensch, der sich zwar sportlich betätigt aber eben auch gerne und auch gerne mal viel isst und dem Familie, Beruf, Weiterbildung und Karriere wichtiger sind als Idealgewicht und Sixpack.

Jedem Tierchen sein Pläsierchen und ein jeder nach seiner Façon. Lasst doch die Dicken dick sein und die Schlanken schlank und hört auf, euch über euer Aussehen zu definieren oder euch anderen aufgrund der Figur überlegen zu fühlen. 


Donnerstag, 28. August 2014

Kommentar: Steigende Flüchtlingszahlen und zunehmende Unterbringungsproblematik in Deutschland

Beinahe täglich liest man in der Presse, dass die Kommunen sich mit einer immer größer werdenden Anzahl an Flüchtlingen konfrontiert sehen. Für jeden aufgenommenen Flüchtling erhält die Kommune 12.270 € vom Land. Das reicht für Unterbringung, Verpflegung, Sozialarbeit und alle anderen damit zusammenhängende Kosten nicht aus und die Städte und Gemeinden legen darauf. Auch wird es immer schwieriger, adäquate Unterkunftsmöglichkeiten zu finden, vermehrt fragen Landratsämter und Regierungspräsidien auch beim DRK nach Notunterkunftsmaterial wie Feldbetten u.ä. an, da die eigenen Vorhaltungen nicht ausreichen. Vereinzelt wird geprüft, ob Notünterkünfte in Katastrophenschutzzelten, also quasi Flüchtlingscamps - mitten in Deutschland - aufgebaut werden müssen. 

Soweit die Fakten. Und der Social-Media-Stammtisch tobt... Hier einige Stilblüten, Reaktionen auf einen Artikel der Pforzheimer Zeitung heute in Facebook:









Erschreckender ist die Tatsache, dass über 90% der Statements in genau diese Richtung gehen. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass Social-Media-Diskussionen keinen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung darstellen. Oder besser gesagt: Ich hoffe es inständig.

Mein Kommentar hierzu: 

Bei all den Kommentaren hier, dass in Deutschland nichts investiert würde, dass Asylanten etwas geschenkt bekämen, fällt mir eigentlich nichts mehr ein... 

Außer: Wir, die wir zum Großteil aktiv keinen Krieg erleben mussten, in Frieden und Freiheit aufwuchsen - wir, denen es in unserem behüteten Überfluss- und Wohlfahrtsstaat besser geht als 90% der Weltbevölkerung, die wir alle fließend Wasser haben, sanitäre Anlagen, Strom, ein Dach über dem Kopf, Heizung, jeden Tag mehrere Mahlzeiten, eines der leistungsfähigsten Sozial- und Gesundheitssysteme der Welt, nahezu kostenfreier Zugang zu Bildung und Wissen, fast überall Breitbandinternetverbindung, so ziemlich alle über Handys verfügen, mehr oder weniger regelmäßig in Urlaub gehen... Ja, wir haben das Recht uns zu beschweren, dass bei uns nichts investiert wird. Wir haben das Recht, Flüchtlingen gegenüber arrogant aufzutreten, weil wir das Glück hatten, in Deutschland geboren worden zu sein. Wir haben das Recht, den Asylbewerbern das Taschengeld zu neiden. 

Und wir wollen mit dieser Einstellung auch ernst genommen werden!


Sonntag, 20. Juli 2014

Soziales Kapital und Ehrenamt

"Unter soziales Kapital fassen wir verschiedene Arten sozialer Beziehungen aus Familie, Freundschaften, aber auch die Unterstützungsressourcen, die mobilisiert werden können über diese Beziehungen. Wir fassen darunter aber auch Engagement in Vereinen als ehrenamtliches Engagement."
(...) Zum Beispiel findet sich bürgerschaftliches Engagement eher in den höheren Schichten, auch wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, dass ehrenamtliche oder politische Aktivitäten gerade bei Jobverlust neue soziale Anerkennung verschaffen könnten. Janina Zeh über ihr Forschungsprojekt "Engagement in prekären Erwerbsverläufen":
"Das ist die These, die wir verfolgen, dass diejenigen, die dazu angehalten werden, sich ehrenamtlich zu engagieren, die sind die, die das mit einer viel geringeren Wahrscheinlichkeit da reinkommen, weil Ehrenamt auch ungleich verteilt ist."

Liegt hier Ursache und Lösung des Problems der rückläufigen Zahlen engagementwilliger Mitbürger/innen? Solange Vereine, Verbände, Parteien usw. dogmatisch das Wort "Ehrenamtlichkeit", das es in diesem Wortsinn nur im Deutschen gibt (vgl. "volunteering" im englischen Sprachraum), wie ein Schutzschild vor sich hertragen und in Anlehnung an das heutzutage beinahe altertümlich anmutende Wertemodell von ehrenamtlicher Tätigkeit als freiwillige und gänzlich unentgeltliche Tätigkeit sehen und Engagierte allenfalls durch (pauschalen) Auslagenersatz entschädigt werden, werden der obigen These folgend zumindest nur wenige Mitbürger in prekären Erwerbsverhältnissen Zugang zur Ehrenamtlichkeit finden. 

Alles, was vielleicht getan werden könnte, um Abhilfe zu schaffen, um das angestaubte Image von klassischem ehrenamtlichen Engagement aufzupolieren, scheint auf den Widerstand örtlicher Traditionswächter zu stoßen, die sich einbilden, sie würden alle Antworten kennen. Schließlich arbeiten sie ja auch ehrenamtlich. Aus purer Nächstenliebe. 

Dem wage ich zu widersprechen, es gibt keinen reinen Altruismus. Ein jeder zieht etwas für sich selbst aus der Tätigkeit - und wenn es nur das gute Gefühl ist, etwas gutes zu tun, die Tätigkeit Spaß und Freude bringt. Oder aber - und das dürfte wohl vielfach der Hauptgrund sein - die Vergrößerung des eigenen sozialen Netzwerks und bei manch einem die Steigerung des Sozialprestiges. 

Die meisten Motivationsfaktoren, die zu ehrenamtlicher Betätigung führen, sind meiner Ansicht nach völlig legitim. Warum also nicht auch endlich der Tabubruch? Warum nicht endlich auch über die Monetarisierung der Tätigkeit jenseits der "Übungsleiterfreipauschale" diskutieren?

Die Zeit für ein Umdenken ist reif. 

Mittwoch, 9. Juli 2014

Rezension: Frank Schätzing - Breaking News

Unter dem Eindruck der in den letzten Tagen zunehmenden Angriffe gegen Israel von Seiten Palästinas und der israelischen Vergeltung und gezielten Ausschaltung von Hamas-Terroristen habe ich "Breaking News" geradezu verschlungen. Das Buch trifft den Zeitgeist und ist aktueller denn je.



Handlung

Zunächst ist man überrascht, dass das erste Kapitel nicht in Israel sondern im Afghanistan des Jahres 2008 beginnt. Der Leser schaut dem Top-Kriegsberichtserstatter eines Hamburger Nachrichtenmagazins Tom Hagen über die Schulter, schmunzelt über seinen unverfrorenen Umgang mit den Militärs der ISAF-Truppen, fiebert mit dem Protagonisten mit, als dieser in heroischer Thriller-Manier versucht, eine Entführung aufzuklären und zu einem glücklichen Abschluss zu bringen und wird mit Tempo 180 gegen die Wand gefahren, als die gesamte Szenerie plötzlich völlig aus den Fugen gerät und die Welt von Hagen völlig zusammenbricht. Wer nun aber einen soliden Thriller erwartet, der irrt.

Schätzing irritiert seine Leserschaft durch eine Rückblende ins Jahr 1929. An Zeitsprünge muss sich der Leser gewöhnen, etabliert der Autor hier doch einen zweiten Handlungsstrang. Wir lernen die Gebrüder Yehuda und Benjamin Kahn kennen - beide eben erst im späteren Israel eingewandert. Sie finden im Land alteingesessene Araber vor, die Angst haben, von der zunehmenden Einwanderungswelle von Juden aus aller Welt vertrieben zu werden, eine heillos überforderte und gleichzeitig gleichgültige britische Kolonialverwaltung und beständig wird der Leser mit Gewalt und Terrorismus konfrontiert. Dieser zweite Strang in Schätzings Roman ist eine Art jüdische Familiensaga, die sich bis in die Gegenwart des Buches im Jahr 2011 fortsetzen wird. Yehuda und Benjamin - beides fiktive Figuren - finden in einem gewissen Arik Scheiermann einen Spielkameraden und Freund, der später als Ariel Scharon bekannt werden und über lange Zeit die Geschicke Israels maßgeblich prägen wird.

Während Tom Hagen in der Handlungsebene der Gegenwart völlig abstürzt, ein posttraumatisches Belastungssyndrom ebenso wie Alkoholismus überwinden muss und nur noch als drittklassisger Journalist für ein kleines Onlinejournal schreibt - mit eher mäßigem Erfolg - führt Schätzing den Leser in der zweiten Ebene mit großen Zeitsprüngen durch die Geschichte Israels. Von der Balfour-Deklaration geht es im Schweinsgalopp zur Staatsgründung Israels, den 6-Tage-Krieg bis hin in die Gegenwart. Arik Scharons Karriere im Militär - vielmehr sein militärisches Genie wird sehr raumnehmend ausgearbeitet, flankiert durch die Erzählung der Familiengeschichte der Kahns. Von hoffnungsvollen Siedlern, die immer wieder Rückschläge hinnehmen müssen und vom Leben im ständigen Konflikt. 

Der Autor schafft es, für beide Seiten - die arabische Welt und Israel - Verständnis zu wecken. Freundschaftliche Bande zwischen Juden und Palästinensern gehören ebenso zum Alltag wie die ständige politische Auseinandersetzung zwischen Fundamentalisten, linken und rechten politischen Lagern und dem Durchschnittsbürger irgendwo dazwischen, der eigentlich nur das beste für sich und seine Familie erreichen und in Frieden leben will. 

Schätzing begibt sich auf hochbrisantes Terrain, in dem er sich ausgerechnet eine der umstrittensten Figuren der israelischen Geschichte ausgesucht hat. Ariel Scharon, bisweilen unmenschlich brutal, loyal zu seinen Idealen bis zur Selbstaufgabe, dargestellt als disziplinierter Soldat, als militärischer Stratege, als Schlächter von Zivilisten, aber auch Wegbereiter eines möglichen Friedens durch Aufgabe der Siedlungsgebiete und in zunehmendem Alter von einer einsichtigen Weisheit geprägt, die so gar nicht zu seinem Lebenslauf passen will. In all diese historischen Gegebenheiten sind die Nachkommen der Familie Kahn mit ihren persönlichen Schicksalen verstrickt. 

Tom Hagen stolpert währenddessen unversehens in eine Verschwörung mit Potenzial, einen dritten Weltkrieg auszulösen. Er ist beständig auf der Flucht, er wird gejagt, man trachtet ihm nach dem Leben, um an brisantes Material zu kommen, das ihm zugespielt wurde und lange Zeit ist unklar, wer die wirklich "Bösen" in dieser Geschichte sind.

Fazit

Schätzings Roman ist eine Mischung aus Familien-Epos, Polit-Thriller und Geschichtsdokumentation. Nicht immer gelingt es dem Autor, eine gesunde Balance zwischen den Elementen zu finden. Er überfordert den Leser regelmäßig mit wilden Sprüngen zwischen den Handlungsebenen, die zu guter letzt natürlich zusammenführen.  Dieses knapp 1000 Seiten umfassende Buch ist keine "leichte Kost" für nebenher, man muss hochkonzentriert dem Plot folgen. Bei seinen Ausflügen in die Geschichte ist er zunächst um Ausgleich, geradezu um "political correctness" bemüht, die Charaktere werden teilweise sehr überzeichnet dargestellt und so manch Dialog zwischen den Figuren erinnert einen dann doch eher an einen Monolog eines Professors im Hörsaal für die Geschichte des nahen und mittleren Ostens. Die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verschwimmen und sind für den Leser nicht klar erkennbar. Insgesamt aber schafft er es durchaus, eine Erklärung für die heutige politische Großwetterlage zu finden, die meiner Meinung nach der Realität entspricht. Der Autor macht im Verlauf des Buches aus seiner pro-israelischen Einstellung keinen Hehl mehr, geht allerdings mit religiösen Hardlinern auf allen Seiten hart ins Gericht. Sowohl die fundamentalistischen Kräfte im Islam als auch im Judentum werden abgeurteilt, ebenso die Christen, die 1982 das Massaker in den Beiruter Flüchtlingslagern zu verantworten haben. Diese Greueltat wird sehr plastisch beschrieben und dem Leser bleibt nur ein schaler Geschmack im Mund und der Zustand absoluter Fassungslosigkeit übrig.

Schätzing bewältigt aber dennoch den Spagat, die absolute Sinnlosigkeit der Gewaltspirale auf der einen und der ebenso absoluten Alternativlosigkeit auf der anderen Seite darzustellen, den anklagenden Finger zwar mehr auf die Seite der Palästinenser richtend, aber auch durchaus kritisch mit der Verteidigungspolitik Israels. Schmerzlich vermisse ich allerdings neben der Charakterstudie Ariel Scharons eine Entsprechung auf der Gegenseite. Die historische Rolle Jassir Arafats hätte in diesem Gesamtzusammenhang eine nähere Betrachtung verdient, auch wenn der Autor dennoch versucht, die Legitimität der arabischen Sache darzustellen.

Für die Thrillerelemente sorgt die Handlungsebene um Tom Hagen. Hier wird nach Herzenslust verfolgt, geschossen, gejagt, gefoltert, gemordet, geflohen, gestohlen, betrogen und gelogen. Um die Spannung nicht vor der Lektüre des Buches zu nehmen, gehe ich an dieser Stelle auf den Handlungsstrang und die den Roman bestimmende fiktive Verschwörung nicht weiter ein. Nur so viel: Es geht rasant zu. So rasant, dass die Figur Tom Hagens oftmals etwas an Glaubwürdigkeit verliert. Es fällt dem Leser oftmals schwer, sich mit ihm völlig zu identifizieren. Dennoch rundet dieser Strang das Gesamtwerk Schätzings gut ab.

Breaking-News ist, wie bereits erwähnt, nichts für Leser, die leichte Kost bevorzugen. Man muss eine Affinität zu Geschichte und Politik haben, man muss bereit sein, die eigenen Wertevorstellungen zu hinterfragen - reine Thriller- und Krimileser kommen hier nicht auf ihre Kosten. Dennoch bekommt das Buch von mir klare vier von fünf Eselsohren.

Montag, 16. Juni 2014

Was hat Fußball eigentlich mit Politik zu tun?

Mehr, als man gemeinhin glauben mag.

Und wieder einmal erweist sich Orwell als Prophet. Tatsächlich werden insbesondere bei sportlichen Großereignissen politisch unliebsame Themen durchgepeitscht. In der Euphorie einer WM scheint der Bürger zu sehr abgelenkt, zu optimistisch um aufzubegehren. 



Die WELT fasst es im heutigen Artikel treffend zusammen: "2006 war es die Mehrwertsteuererhöhung, 2010 der Anstieg der Krankenkassenbeiträge. Wenn andere mit Fußball beschäftigt sind, nutzt die Politik diese Zeit gerne, um mit wenig Aufmerksamkeit Beschlüsse durchzuwinken. Das ist dieses Jahr auf der Liste:"

Mittwoch, 7. Mai 2014

Jebsen - der Bewahrer der Wahrheit und Beschützer der Witwen und Waisen

In schlimmen Zeiten leben wir. Wenn man Ken Jebsen glauben schenken mag, leben wir in einem Zeitalter der Entdemokratisierung, wir werden manipuliert. In diesem Youtube-Video polemisiert Jebsen in seiner unnachahmlichen Art und Weise über die derzeitige Ukraine-Krise. Gleich zu Beginn schenkt er uns reinen Wein ein, denn "die Wahrheit steht auf jeden Fall nicht in unseren Medien", weiß er zu berichten. Es gehe natürlich um Gas- und Schürfrechte, um die russische und amerikanische Firmen konkurrieren. Daher brauchen wir ein neues Feindbild. Wörtlich: "In den letzten Jahren war der Russe für uns kein großes Thema. Da war der Aggressor der Moslem. Auch dort ging es natürlich um Öl und Gas. Und jetzt haben wir die Moslems so ein bisschen im Griff und jetzt ist vorübergehend Putin an der Reihe."

Jebsen mimt den intellektuellen Aussteiger aus der Mainstreampresse, den Bewahrer der Wahrheit und ruft zum "nachdenKEN" auf. Das Wortspiel mit seinem Vornamen entlarvt den Selbstdarsteller, der es auf perfide Art und Weise schafft, Anhänger zu gewinnen. Geschickt verknüpft er krude Thesen mit Halbwahrheiten und Fakten, sodass schlussendlich ein Brei herauskommt, der einem durchaus plausibel erscheinen kann. Beispiele? Wahr ist, dass die Proteste in der Ukraine mit der Ablehnung des Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union begannen. Ohne Quellen zu benennen führt Jebsen aus, dass die EU der Ukraine 600 Millionen Dollar bieten würde, die Russische Föderation habe 25 Milliarden Doller. "Und dann hat sich das die Ukraine noch einmal überlegt", so Jebsen. So plausibel das im ersten Moment klingen mag, so wenig hält diese nette, kleine Verschwörungstheorie einer näheren Betrachtung stand. Zum einen ging es um keine Vollmitgliedschaft in der EU, zum anderen macht die Europäische Union sicher keine "Übernahmeangebote" für einzelne Staaten. Die Ukraine hätte einen ähnlich langen Weg wie die Türkei vor sich, bevor man ernsthaft über eine Vollmitgliedschaft nachdenken könnte.

Von Tatsachen will Jebsen sich offensichtlich nicht beeindrucken lassen. Er ist davon überzeugt, dass wir in Europa längst in einer Diktatur angekommen sind. Er als ehemaliger Radiomoderator weiß schließlich zu berichten, dass die deutschen Medien von Washington aus gelenkt werden und vergleicht seelenruhig die deutsche Medienlandschaft mit der gleichgeschalteten Nazipresse und behauptet munter, dass die Axel Springer AG von der CIA mitbegründet wurde. Quellen oder gar Beweise für diese "Fakten" bringt er natürlich nicht.

Jebsen selbst ist bei den sog. Montagsdemonstrationen ein gefeierter Redner, der sich selbst aber nicht als "Führer" der Bewegung verstanden wissen will, wie er an anderer Stelle mehrfach betonte. Ja was zum Geier denn dann? Sobald man diesem Mann ein Mikrofon unter die Nase hält, rüttelt er in orgiastischer Manier an den Grundfesten dessen, was wir als Wahrheit betrachten. Er ist ein hervorragender Rhetoriker, seine Wut trägt er extrovertiert nach außen und unterstreicht damit seine Botschaften. Von den gegelten Haaren bis zu den leicht abgetragenen Schuhen - er wirkt authentisch. Er ist ein Bürger wie Du und ich, aber einer, der intelligenter ist. Es muss stimmen, was er sagt, denn schließlich begegnen wir alle dem Staat ja mit einem gesunden Misstrauen.

BULLSHIT! Jebsen ist ein Brandstifter, der auf komplexe Probleme vermeintlich komplexe - aber unterm Strich doch viel zu einfache Antworten liefert. Er stillt unsere Sehnsucht nach Antworten, nach einem "Bösen", nach einem Schuldigen: Ganz klar - die USA sind schuld. Das Kapital ist schuld. Wir werden von Konzernen regiert. Von dort bis zu den auf den Montagsdemos vorherrschenden antisemitischen Parolen, dass wir von einer Geldaristokratie beherrscht werden, die zum Großteil jüdische Namen trägt, ist es nicht mehr sehr weit.

Es ist in Ordnung, die Presse zu hinterfragen. Es ist in Ordnung - nein, geradezu eine Bürgerpflicht - die Regierung kritisch zu hinterfragen. Von den Anhängern Jebsens wünsche ich mir nur eines: Hinterfragt dieses HB-Männchen ebenso gründlich und stellt seine Thesen auf den Prüfstand. Ich bin der festen Überzeugung: Dieser Mann hat nicht Recht.

Sonntag, 9. Februar 2014

Einwanderung: Kommentar zur Schweizer Volksabstimmung

Schon Platon und Aristoteles hatten so ihre Probleme mit der direkten Demokratie. Wenn auch in anderem Zusammenhang, erkannten sie folgerichtig, dass sich das Volk von Demagogen verführen ließe. Tocqueville beschrieb die Folge hiervon als "Tyrannei der Mehrheit". 

Leider komme auch ich nur zum Churchill'schen Schluss: "Die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, ausgenommen alle anderen." 

Die Schweiz, das angebliche Musterland direktdemokratischer Entscheidungsfindung, ist für mich schon seit der Volksabstimmung gegen Minarette eher ein abschreckendes Beispiel. Seit heute umso mehr.